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Tony McCoy: "Wenn ich jetzt über 5000 Siege ernsthaft nachdenken würde, lässt sich meine Frau scheiden.“

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 291 vom Donnerstag, 14.11.2013

Historischer Treffer: Tony McCoy landete am vergangenen Donnerstag Sieg Nummer 4000, ist damit erfolgreichster Hindernis-Jockey aller Zeiten. www.galoppfoto.de - Peeo PloffHistorischer Treffer: Tony McCoy landete am vergangenen Donnerstag Sieg Nummer 4000, ist damit erfolgreichster Hindernis-Jockey aller Zeiten. www.galoppfoto.de - Peeo Ploff

In seinen Element: Anthony McCoy - kurz AP - ist der erfolgreichste Hindernisreiter aller Zeiten. Hier mit Grandouet im Betfair Hurdle. www.galoppfoto.de - John James ClarkIn seinen Element: Anthony McCoy - kurz AP - ist der erfolgreichste Hindernisreiter aller Zeiten. Hier mit Grandouet im Betfair Hurdle. www.galoppfoto.de - John James ClarkAls Anthony Peter McCoy am vergangenen Donnerstag, den 07. November 2013, um ca. 15:14 Ortszeit den braunen Wallach Mountain Tunes gegen die letzte Hürde eines an sich eher unbedeutenden Rennes auf der normalerweise ebenso unbedeutenden Rennbahn von Towcester steuerte, lag dennoch ganz Großes in der Luft. Die Zuschauer, die zahlreich wie nie die Ränge der kleinen Bahn füllten (es hatte sogar einen Verkehrsstau gegeben!), hielten den Atem an, die Stimme des Renn-Kommentators hob sich, und der geballte Wille der Menge gepaart mit dem unbeugsamen Willen des Jockeys schien auch das Pferd zu erreichen, der, den Sprung noch an dritter Stelle nehmend, noch einmal all seine Kräfte zu sammeln schien, um sich dann unter dem Jubel der Tausenden Stück für Stück an die Spitte des Feldes zu schieben – ein Galoppsprung, zwei, in Front, und es war geschafft: Der 4000. Sieg von AP, wie ihn alle nennen, war unter Dach und Fach, ein Meilenstein in der an Meilensteinen so reichen Karriere eines Reiters, wie ihn die Welt des Hindernissports noch nie gesehen hat. Eine Karriere, die McCoy mit eisernem  Willen und großer Disziplin geformt hat. Und so war es natürlich kein Zufall, dass dieser Sieg in den Farben seines langjährigen Arbeitgebers JP McManus zustande kam.Erfolgsduo auch beim 4000. Treffer: Trainer Jonjo O'Neill (links) and Jockey Anthony McCoy. www.galoppfoto.de - John James ClarkErfolgsduo auch beim 4000. Treffer: Trainer Jonjo O'Neill (links) and Jockey Anthony McCoy. www.galoppfoto.de - John James Clark

 

AP McCoy wurde am 04. Mai 1974 in Nordirland geboren, mitten zwischen insgesamt fünf Geschwister, aber als ältester Sohn, in eine Familie, die als solches keine Wurzeln im Rennsport hatte, aber wie wohl fast jede irische Familie in ländlichen Regionen immer ein Pferd oder zwei besaß. Schon früh war klar, dass die Schule für AP nur ein lästiges Muss war, auch weil er sich hier untalentiert anstellte. Doch früh stand für AP fest, dass es nur einen Beruf für ihn geben konnte: Jockey. Ein Zufall hatte zur Bekanntschaft mit dem lokalen Trainer Billy Rock geführt, und Rock sollte die Wurzeln für diese an Superlativen so reiche Karriere von McCoy legen. „Billy Rock sah den Mann in mir, als ich noch ein Junge war, und sah mehr in dem Jungen als jeder andere Mann“ widmete McCoy seine zweite von (zur Zeit) insgesamt drei Autobiographien Rock, und in all den Jahren betonte er stets den Einfluss dieses bescheidenen Mannes, der früh erkannte, welcher ungeschliffene Diamant bei ihm in Form des kleinen Anthony (tatsächlich war „Wee Anthony“ lange der Spitzname McCoys)  ausritt, und der vor allem früh erkannte, dass er selber nicht die Möglichkeiten hatte, dieses Juwel richtig zu schleifen.

So begann der 15jährige AP dann eine richtige Ausbildung bei einem DER Trainer der Insel, in einer Talentschmiede, die heute schon Legende ist: bei Jim Bolger. Selber natürlich ein exzellenter Trainer, so hat sich seine „Coolcullen“ Trainingsstätte auch durch das Hervorbringen von Trainer- und Jockeytalenten einen Namen gemacht, Aidan O'Brien ging hier „in die Schule“, und auch Paul Carberry, um nur die – nach AP, versteht sich – bedeutendsten Namen zu nennen.

Fünf Jahre (1989-1994) blieb McCoy in Irland, hatte 1990 seinen ersten Ritt für Bolger, für den er auch im März 1992 sein erstes Rennen gewann, in einem Flachrennen in Thurles.  Nach einem Beinbruch und der daraus resultierenden Untätigkeit wurde AP jedoch  zu groß und zu schwer für Flachrennen, und es wurde klar, dass seine Zukunft im Hindernissport liegen würde.  Wie beinahe jeder irische Jockey fand dann McCoy schnell seinen Weg über die irische See nach England, wo er als Erlaubnis-Reiter bei Toby Balding ausritt, dem Bruder von „Mill Reef“ Ian Balding und Onkel des aktuellen Trainers Andrew. Hier verlor McCoy wenig Zeit, sich als Champion unter den Conditional Jockeys zu behaupten; dann erkannte auch Balding, dass er diesem nach Erfolg so hungrigen Jockey einfach nicht genügend Futter bieten konnte. Mit dem Wechsel an den mächtigen Stall von Martin Pipe begann dann der unaufhaltsame Aufstieg McCoys in eine Liga, der eigentlich nur er selber angehört.

In seiner eigenen Liga unterwegs: Hindernis-Champion Tony McCoy - hier mit At Fishers Cross als Sieger in den Sefton Novices' Hurdle. www.galoppfoto.de - John James ClarkIn seiner eigenen Liga unterwegs: Hindernis-Champion Tony McCoy - hier mit At Fishers Cross als Sieger in den Sefton Novices' Hurdle. www.galoppfoto.de - John James Clark

McCoys Karriere im Rennsattel ist geprägt von atemberaubenden Zahlen und Rekorden, die er eigenhändig aufstellte und brach. Nun, fast 40 Jahre alt, war und ist McCoy Champion der Hindernisreiter in jeder Saison seit dem Jahr 1995-96 (im Moment 18mal), er ritt seinen 1000. Sieger (die Anzahl der Siege bezieht sich immer auf Siege über Hindernisse) im Jahr 1999, seinen 2000. Sieger im Jahr 2003, den 3000. in Februar 2009. McCoy ritt 290 Sieger in der Saison 2001-2002, damit brach er Sir Gordon Richards britischen Rekord von 269 Siegen, und Peter Schiergens Rekord von 271 Siegen aus dem Jahr 1995. In der Saison 2001-02 stieg er unglaubliche 1.013 Mal in den Sattel.

Mit Martin Pipe hatte er gleich zu Beginn dieses Aufstiegs den idealen Sparring-Partner an der Seite: ein Selfmade-Trainer, für den normale Regeln und traditionelle Wege nicht galten, der eigene Wege fand, seine Pferde ganz einfach fitter als andere zu kriegen (man schreibt Pipe die „Erfindung“ des Intervall-Trainings für Pferde zu); die Pferde liefen und liefen, eher selten in den ganz großen Rennen, wenn auch Pipe-McCoy 1997 mit Make a Stand und Mr. Mulligan das Champion Hurdle – Cheltenham Gold Cup Doppel schafften (kurz darauf erschien McCoys erste Autobiographie).

Der McCoy der frühen Jahre war im wahrsten Sinne des Wortes ein Getriebener, unbeugsam und unnachgiebig gegen sich und seine Pferde, die er mit eiserner Härte durch die Rennen schickte. Sein „Will to win“ wurde legendär, sein niemals aufgebender „never-say-die“-Reitstil, immer auf seine Chance hoffend, machte ihn natürlich zum Liebling der Massen, die ihm als Wetter ihr hartverdientes Geld anvertrauten. Sensibleren Fans war der McCoy dieser Jahre eher nicht geheuer; allzu unbarmherzig peitsche er sich und die ihm anvertrauten Pferde (leider viel zu häufig wortwörtlich) über die Hürden, und wenn auch dies natürlich das „Geheimnis“ hinter den Siegen war, so war es auch das Rezept für spektakuläre Stütze, mit immer wieder schlimmen Folgen für die Pferde. McCoy, im Übrigen ein „Teetotal“ (er trinkt keinerlei Alkohol), wurde von seinen Jockey-Kollegen schon immer als feinfühliger, hilfsbereiter, bescheidener, schüchterner und großzügiger Freund beschrieben, der half, wo er konnte, allein, diese Charaktereigenschaften sah die Öffentlichkeit kaum; hier präsentierte sich McCoy, außer vielleicht in Momenten großer Siege, weitestgehend frei von positiven Gefühlen, immer auf der Suche nach dem nächsten Sieg, getrieben, rastlos.

Unbarmherzig gegen sich selbst: Tony McCoy ist unzählige Male gestürzt und ebenso oft wieder aufgestanden. www.galoppfoto.de - John James ClarkUnbarmherzig gegen sich selbst: Tony McCoy ist unzählige Male gestürzt und ebenso oft wieder aufgestanden. www.galoppfoto.de - John James Clark

In seiner 2002 erschienenen zweiten Autobiographie zeichnet er selber dieses Image, beschreibt die Qualen, sein Gewicht zu halten (nach eigenen Angaben lebte McCoy jahrelang von Mars-Riegeln und Tee, und weinte, wenn er in der Badewanne wieder die Pfunde abschwitzten musste, so sehr hasste er das warme Wasser), das stoische Ertragen der unzähligen Verletzungen, die er als Folge seiner Stürze natürlich erlitt und die er mit z.T. abenteuerlichen Methoden zu heilen versuchte; so verschrieb er sich nach einem besonders schweren Sturz die Behandlung in einer Kältekammer, in der er sich tagelange nahezu unmenschlichen Temperaturen aussetzte.

Nach seinem 4000. Sieg fasste  McCoy in einem faszinierenden Interview mit dem Guardian seine Einstellung zu Schmerzen so zusammen:“ Letztendlich kann man den Schmerz ja ertragen, es ist alles eine Frage des Willens. Wenn man sich den Arm oder das Bein bricht, ist man physisch nicht in der Lage, dieses Körperteil zu bewegen, aber bei einer Rippe oder dem Brustbein ist das ja ganz anders. Die Doktoren haben all diese Tests gemacht, aber ich habe die Schmerzen einfach ignoriert. Es tut weh, aber wenn man da durch muss, muss man da durch. „Beinahe nebenbei verriet McCoy hier auch, dass er zu Beginn dieses Jahres eine seiner schwersten Verletzungen überhaupt „abhandelte“: „Ich habe bereits im Krankenwagen gewusst, wie schwer ich verletzt war, und eine sehr akkurate Selbstdiagnose gestellt. Ich war sechs Tage auf der Intensivstation, habe aber meine Frau gezwungen, nichts zu verraten. Ich bin 27 Tage nicht geritten, aber es hätten eigentlich 67 Tage sein müssen. Normalerweise hätte ich in den nächsten drei Wochen nicht in der Nähe eines Pferdes sein dürfen."

Es war die Liebe zu seiner späteren Frau Chanelle, die McCoy langsam zwang, sich zu wandeln; in seiner dritten Autobiographie beschreibt er fast schon quälend detailliert, wie schwer ihm, tief innen noch der schüchterne Junge aus Ballymena, die Wandlung fiel. „Ich wusste, dass er mich liebte, aber er konnte es mir einfach nicht zeigen. Es war eine quälend schwere Zeit“ so Chanelle McCoy. Mit der Geburt seiner Tochter Eve vor sechs Jahren (im August diesen Jahres wurde Sohn Archie Peader geboren) war dann McCoy endlich in der Lage, die Zuneigung seiner Fans zu akzeptieren, und selber seine tiefen Gefühle auch nach außen zu tragen: "Eve ist ein Wunder, der erste Mensch, der sich ganz und gar und immer freut, mich zu sehen", so der erstaunte Vater. Es war dann auch Eve, die McCoy in der letzten Woche mit Kurs auf den 4000. Sieg einem ganze besonderen Druck aussetzte: "Eve hat keinen Zweifel, dass sie der wichtigste Mensch in unserem Haushalt ist, und hat ganz klar gemacht, dass sie den 4000. Erfolg vor ihrem 6. Geburtstag (der am Freitag vergangener Woche war) erwartet.“

2004 erstaunte McCoy die Rennwelt, als er seine hocherfolgreiche Partnerschaft mit Martin Pipe abbrach und seitdem als angestellter Jockey für J P McManus reitet, dem irischen Multimillionär, der eine Vielzahl seiner Pferde in England bei Jonjo O'Neill trainieren lässt, dessen Trainingsanlage Jackdaws Castle sich auch in McManus' Besitz befindet, der aber eine weitere schier unendliche Anzahl von Pferden über diverse Trainer verteilt hat. McManus, der als Buchmacher und mit spektakulären Wetten den Grundstein seines Vermögens legte, welches er heute von der Schweiz aus verwaltet, ist einer der großen Wohltäter des Rennsports, der regelmäßig still und leise Millionen für wohltätige Zwecke gibt, hinter den Kulissen viele gestrauchelten Jockeys unbürokratisch hilft, und darüber hinaus auch dem Großteil seiner Vierbeiner eine Lebensstellung bietet. Seine grün-goldenen Rennfarben sind also beinahe einem Jahrzehnt McCoys Arbeitskleidung, kein Wunder, dass „Eve glaubt, es seien meine Farben, wenn sie sie im Fernsehen sieht. Daher war es so wichtig, dass dieser Sieg (der 4000.) in diesen Farben zustande kam." In den grün-goldenen Farben erritt  McCoy in den vergangenen zehn Jahren auch eine Vielzahl großer Siege, Namen wie Synchronized, Don't Push It, Darlan, Binocular, At Fishers Cross oder Wichita Lineman  sind wohl die aller-erfolgreichsten dieser Partnerschaft, die auch eine tiefe Freundschaft ist. Die Namen stehen für große Siege, aber auch – Synchronized, Darlan, Wichita Lineman – für die schwärzesten Stunden im Rennsattel McCoys, auch dieses reflektierte er nach dem historischen Erfolg: „Dies ist ein fantastischer Sport, aber er hat auch andere Unglücke [McCoy hatte vorher über tragische Unfälle einiger Jockey-Kollegen gesprochen]. Ich habe auf einigen so guten Pferden gesessen, die gestorben sind, und damit kann ich nur sehr schwer umgehend. Aber so viel  wir die Pferde auch lieben und für sie sorgen, natürlich trifft einen ein menschliches Schicksal noch so viel härter“.

Mit dem Sieg im Grand National auf Don't Push It im Jahr 2010 ging für McCoy ein Lebenstraum in Erfüllung; es gab Gerüchte, dass er nun die Rennstiefel an den Nagel hängen würde. Am "Tag 1" nach dem Sieg am letzten Donnerstag in Towcester fuhr McCoy für einen Ritt für JP McManus nach Southwell (Tochter Eve hatte ihre Geburtstagparty verschieben müssen) – er wurde 2.  „Ich hatte nie etwas anderes vor (als am nächsten Tag „normal“ zu reiten), sonst wäre ich doch einfach nur faul.“ „Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich sagen, dass ich auf das Erreichte wirklich stolz bin. Es war mehr eine Erleichterung als alles andere, und ich bin so froh für alle, dass es so toll geklappt hat. Ich habe so viel Glück im Leben. Ich liebe meinen Job, und möchte gerne noch ein paar Sieger reiten. Ich möchte wieder Champion werden, und gute Ritte machen; aber 5000 Siege? Ich glaube, wenn ich darüber ernsthaft nachdenken würde, lässt sich meine Frau scheiden.“

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