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Die Derbyrede von Helmut von Finck für den Sieg von Sammarco

Besitzer Helmut von Finck hält die Derby-Rede in den Räumlichkeiten des Bankhauses Donner & Reuschel. ©galoppfoto - Frank Sorge

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Gastkolumne

TurfTimes: 

Ausgabe 775 vom Freitag, 07.07.2023

Zum Abend vor dem Derby gibt es immer das traditionelle Derby-Dinner. Eine hochexklusive Veranstaltung, zu der der Hamburger Renn-Club einlädt. Der besondere Gast ist der glückliche Besitzer des Vorjahressiegers, der eine Rede hält, in diesem Fall also Helmut von Finck Eigner des Gestüt Park Wiedingens als Züchter und Besitzer von Sammarco (Camelot), der unter Bauyrzhan Murzabayev Trainer Peter Schiergen seine sechsten Derbysieger beschert hatte. Außerdem sind die Besitzer der aktuellen Derbystarter geladen, die bei einem Nenngeld von 6.500 Euro ohnehin wesentlich zur Finanzierung der Veranstaltung beitragen, also des Dinners und des Derbys. Eigentlich gehört dieses Dinner ins  Hotel Atlantic und galt in früheren Zeiten als Top-Event, auch wenn nie alle Geladeneren der Einladung gefolgt waren. In diesem Jahr hat man sich dem Vernehmen nach aber noch kleiner gesetzt und im Bankhaus von Donner & Reuschel dinniert, weshalb gar nicht alle Besitzer hätten Platz finden können. 

Nachfolgend können Sie die Rede nachlesen: 

 

Sehr geehrter Herr Präsident,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

liebe Freundinnen und Freunde, 

heute Abend, an diesem schönen Ort, zu diesem besonderen Anlass, möchte ich bewusst nicht auf politische Themen und Krisen im Galopprennsport eingehen, sondern Sie auf eine kleine Reise mitnehmen. Eine emotionale Reise, die das Leben schrieb. Eine Reise mit Ups-and-Downs. Eine Reise, die vor vielen, vielen Jahren begann. 

Angefangen hat alles mit einem Erlebnis in meiner Jugend. Um ganz genau zu sein, ist diese Reise ursprünglich sogar ein Traum gewesen. Und dieser Traum ist vor fast einem Jahr wahr geworden: Der Traum vom Derby-Sieg. Und ich verrate Ihnen noch etwas: Lange Zeit wusste ich gar nicht, warum ich diesen Traum hatte und was er überhaupt bedeutete. Aber heute weiß ich es. Genauer gesagt: seit einem Jahr weiß ich es.

Doch der Reihe nach: Ich denke, jeder von Ihnen hat seine besonderen Erinnerungen, an seine ganz persönlichen Erlebnisse mit Pferden und dem Pferderennsport. Oft sind das Geschichten, Episoden oder Anekdoten, die schon recht lange her sind – oder vielleicht gerade gestern passiert sind. 

Die 1. Etappe meiner Reise, die ich mit Ihnen teilen möchte, ist ein Erlebnis, das ich bereits als Jugendlicher hatte. Genauer gesagt, schreiben wir das Jahr 1973. Wir erinnern uns: Es war das Jahr der Öl-Krise und der Watergate-Affäre um US-Präsident Richard Nixon. Und der FC Bayern München wurde Deutscher Fußballmeister. 

Ich war 14 Jahre alt, und mein fünf Jahre älterer Bruder hat mich mit auf die Rennbahn mitgenommen. Aber das Tollste für mich war, dass ich schon wetten durfte. Das war in MünchenDaglfing und in Riem, wo ich sofort vom Rennfieber erfasst wurde. Seitdem stand meine ursprüngliche Lieblingssportart, der Fußball, buchstäblich im Abseits, denn es ging bei mir nur noch um Pferde. Damals habe ich noch 2,50 DM in den Wettautomaten gesteckt und dachte dabei, ich hätte die große Ahnung von Pferden. 

Etwas mehr Ahnung von diesen wunderbaren Tieren hatte damals in Wirklichkeit mein Bruder, denn der besaß bald schon ein paar Pferde – und so sind wir später gemeinsam nach Baden-Baden zum Pferderennen gefahren. Ich erinnere mich, dass im Hotel eine Zeitung auslag, in dem ein besonderes Pferd ganz wunderbar beschrieben wurde. Abends im Casino wurde dann lebhaft diskutiert, wer das große Rennen gewinnt. Klarer Favorit war ein Engländer, aber ich hatte mich bereits für das andere Pferd – das aus der Zeitung – entschieden und darauf gesetzt. 

Dann war der große Moment, dem ich entgegenfieberte, endlich gekommen: es war Renntag. Kurz bevor es losging, war ich noch einmal bei meinem Favoriten und sah mir dieses prächtige Tier an. Das Pferd schaute mir in die Augen und schien mir zu sagen, „Ich werde das Rennen schon gewinnen, mache Du Dir mal keine Sorgen!“ Das war wirklich ein magic moment, der für mich sehr prägend war und den ich bis heute natürlich nicht vergessen habe. 

Ich hatte ja bereits eine recht hohe Wette gesetzt, aber nach diesem besonderen Erlebnis habe ich noch einmal nachgelegt. Zugegeben ist das kein rationaler Grund, auf ein Pferd zu wetten, aber genau das macht ja auch den Reiz aus, dass die Emotionen mit diesen wunderbaren Tieren eine so große Rolle spielen. Und wie heißt es so schön: Ein Blick sagt mehr als 1.000 Worte. Und was glauben Sie, wie das Rennen ausgegangen ist? Nach einem spannenden Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Favoriten gewann „mein Pferd“ das Rennen – und ich eine recht ordentliche Summe. Da war es komplett um mich geschehen. 

So traumhaft schön diese Geschichte meine Leidenschaft für die Pferde und den Pferderennsport beschreibt, ist eins klar: Auf einer Reise läuft nicht immer alles glatt und nach Plan, und nicht jeder Traum geht in Erfüllung. Mitunter ist es ja sogar eher so, dass die meisten Lebensträume zerplatzen. Und es gibt natürlich auch große Rückschläge und schwere Enttäuschungen. 

Ich setze meine Reise fort, um Sie auf eine weitere wichtige Etappe mitzunehmen. Wir befinden uns in den Jahren um 1994. Helmut Kohl wird ein letztes Mal zum Kanzler gewählt, Roman Herzog zum Bundespräsidenten, Nelson Mandela aus der Haft entlassen und Deutscher Fußballmeister wird... der FC Bayern München! 

Meine Liebe zu den Pferden ist im Lauf der Jahre weiter gewachsen, aber ich möchte jetzt nicht mehr nur zuschauen und wetten, sondern meine Aktivitäten mit den Tieren voranbringen. Daher entschließe ich mich, in den Sulky zu steigen und meine Traberkarriere zu starten. Bei über 1.000 Rennen war ich mit den Pferden am Start und konnte mehrmals bayrischer Champion werden und immerhin mehr als 300 Rennen gewinnen. Das war eine extrem wichtige und intensive Zeit für mich. Letztendlich war das auch eine prägende Phase, um einige Jahre später meine nächste Etappe auf meiner Reise anzupeilen: 

Wir schreiben das Jahr 1999: Helmut Kohl war mittlerweile kein Kanzler mehr, sondern wurde bereits ein Jahr zuvor von Gerhard Schröder abgelöst, und Bill Clinton machte im Zuge der Affäre mit Monica Lewinsky Schlagzeilen. Und am Rande sei bemerkt: Der FC Bayern wurde im Sommer wieder Deutscher Fußballmeister.

Und auch wenn seit meinen ersten Erfahrungen auf der Rennbahn viel Zeit vergangen ist, hatte mich mein ganz großer Traum immer noch nicht losgelassen. Jetzt spürte ich in mir den Wunsch, etwas Eigenes auf den Weg zu bringen – etwas ganz Besonderes sollte es sein. Dabei schlugen zwei Herzen in meiner Brust: das des Pferdebesitzers und das des Pferdezüchters. Warum also sollte ich nicht das Beste aus zwei Welten vereinen? Am besten ging das mit einem eigenen Pferdegestüt. Doch so einfach wie ein gebrauchtes Handy bei Ebay lässt sich so ein Objekt nicht finden. Der Ort, die Anbindung, die Infrastruktur, die Mitarbeiter, die Tiere. Es gibt so viel zu bedenken und alles muss passen. 

Doch eines Tages hatte die lange Suche ein Ende: Ich wurde fündig – allerdings nicht in meiner halbwegs vertrauten bayerischen Gegend, sondern ausgerechnet bei „den Preußen“ weit oben im Norden. Ein kleines Gestüt, das noch nicht perfekt war, aber genügend Potenzial für einen Ausbau nach meinem Geschmack hatte, wurde mir angeboten. Irgendwo in der Lüneburger Heide bei Soltau. Wiedingen heißt der Ort mit gerade einmal 120 Einwohnern; von dem hatte ich vorher noch nie etwas gehört – und Ihnen ist es vermutlich auch nicht anders ergangen. Was mich besonders gereizt hat: Die Lage ist wunderschön, inmitten der Natur. Und das „Tor zur Welt“ Hamburg ist keine Autostunde entfernt, was möchte man mehr? 

An einem verregneten, dunklen Dezembertag um Weihnachten herum, machte ich mich auf den langen Weg in den Norden. Driving home for Christmas? Mir kam es eher wie eine Fahrt in eine ungewisse Zukunft vor, dennoch war ich grundsätzlich optimistisch. Natürlich hatte ich auch meine Zweifel gehabt und überlegte, ob es genau das ist, was ich suche. Es gab durchaus Pro und Contra, Dinge wollten überlegt und abgewogen werden. Doch mein Herz entschied sich für das Gestüt in Wiedingen. 

Jetzt ging die Arbeit erst richtig los, denn es gab natürlich unendlich viel zu tun. Gebäude mussten umgebaut und erweitert, die Infrastruktur modernisiert werden. Ach ja, der Vorbesitzer hatte nicht nur ein Herz für Pferde, sondern offensichtlich für alle Tiere dieser Welt. So muss es auf der Arche Noah ausgesehen haben, es gab sogar einen Papagei in der Garage. 

Im Laufe der Jahre wurde die Arbeit nicht weniger, aber eins entschädigte immer wieder. Alle Beteiligten steckten ihr Herzblut in das Gestüt und arbeiteten Tag und Nacht zum Wohl der Pferde. Trainer und Jockeys sowie alle Mitarbeiter wuchsen zu einem Team zusammen. Doch der Einsatz lohnte sich. Da sind vor allem natürlich zwei ganz besondere Pferde zu nennen, zum einen Soldier Hollow, zum anderen Sammarco. 

Auch wenn Soldier Hollow – das Pferd meines Lebens – nicht auf dem Gestüt Wiedingen groß geworden ist, so habe ich dieses wunderbare Tier kurz nach dem Erwerb des Gestüts gekauft. Das war also eine wirklich ganz wichtige und prägende Zeit für mich. Unfassbar, was dieses tolle Pferd alles gewonnen hat: 

Bei 31 Starts hat es 12 Siege errungen, unter anderem war es zwei Mal Sieger des Großen DallmayrPreises sowie zweimaliger Gewinner des Premio Roma. Und nicht nur das, denn später sollte Soldier Hollow einer der erfolgreichsten Deckhengste Deutschlands werden. Da verwundert es nicht, dass er die Mutter von Sammarco gezeugt hat und somit Großvater des letztjährigen Derbysiegers ist. Dabei bin ich durchaus berührt, wenn ich daran denke, dass ich ohne Soldier Hollow – und somit auch ohne Sammarco – heute nicht hier stehen und diese Rede halten würde. 

À propos Sammarco: Wir befinden uns auf der 4. Etappe meiner Reise, im Juli 2022. Skandale und Krisen gibt es mehr denn je... Und Sie ahnen es: Der FC Bayern wird wieder Meister. 

Dann steht das Deutsche Derby vor der Tür. Ich werde von Tag zu Tag nervöser, denn mein Traum ist zum Greifen nahe. Die Wochen vorher waren wir alle sehr angespannt, aber dann war es endlich soweit. Ich denke, diejenigen, die dabei waren, haben diesen Tag alle noch in Erinnerung. Ein Drehbuchautor hätte sich das Szenario nicht dramatischer ausdenken können. Einerseits die Hitze, andererseits die knisternde Spannung, wann es mit dem Show-down endlich losgeht. Mir kam es fast so vor wie im Kinoklassiker „High Noon“. Hinzu kam noch die Verzögerung beim Start, weil es ein technisches Problem mit den Rails gab. Nach einer endlos langen halben Stunde dann endlich der erlösende Startschuss in eines der spannendsten Rennen, das es bei dem Deutschen Derby je gegeben hat – und das war immerhin schon die 153. Auflage! 

Wir erinnern uns: auf den letzten 700 Metern gab es einen ständigen Führungswechsel in einem dichtgedrängten Feld. Nach dramatischen 2.400 Metern dann schließlich ein Finish, das ich so noch nicht erlebt habe – die meisten von Ihnen vermutlich ebenso wenig. Mit bloßem Auge war nicht zu erkennen, wer gewonnen hatte, es kamen gleich drei Pferde in Frage, und schließlich war es eine Millimeter-Entscheidung. Das Renngericht musste sich minutenlang zurückziehen, um das Zielfoto auszuwerten. Glauben Sie mir, es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis endlich das Ergebnis verkündet wurde: „Gewonnen hat dir Nr. 1 -  Sammarco!“ Das war „Ein Rennen für die Geschichte“, wie es der Derby-Kommentator, Marvin Schridde auf der Rennbahn formulierte und das kleine Dorf Wiedingen war nun in der Rennsportwelt endgültig bekannt. 

Warum ich all das erzähle? Der Weg bis zum Ziel ist lang und steinig gewesen. Höhen und Tiefen, Hoffen und Bangen, Lachen und Weinen lagen mitunter dicht beisammen. So manches Mal kam mir alles eher wie eine Achterbahn der Gefühle vor als ein Rennen auf dem Turf. Umso größer ist meine Dankbarkeit, das Derby in dieser wunderschönen Stadt gewonnen zu haben. Auch als gebürtiger Münchner, der in Berlin lebt, habe ich einen großen Bezug zu Hamburg, auch familiärer Natur. 

Zudem ist Hamburg die „Pferdehochburg der Republik“ – die WELT am SONNTAG titelte vor Jahren schon „Hamburg, die wiehernde Metropole“ – wo das Herz für alle Pferdefreunde schlägt, sei es für Galopper, Springreiter, Traber oder Polo-Spieler. Hier in dieser schönen Stadt ist mein Traum wahrgeworden und das weiß ich sehr zu schätzen. Alle Aufregung, aller Schweiß und alle Tränen haben sich gelohnt! 

Und dann ist da natürlich noch die große Bedeutung des Deutschen Derbys insgesamt. Weit über Hamburgs und Deutschlands Grenzen hinaus, als international renommiertes Sportereignis. Hier muss man am richtigen Ort zur richtigen Zeit sein – mit einem Dreijährigen, also in einem ausgesprochen kleinen Zeitfenster.

Insgesamt war 2022 also ein extrem intensives Jahr, in dem wir am Ende sogar das Züchter- und Besitzer-Championat gewonnen haben. Daher möchte ich mich bei allen bedanken, die diesen Erfolg erst möglich gemacht haben: Unseren Jockeys, Trainern, Gestütsleitern und allen Mitarbeitern unserer kompletten Gestütsfamilie, die Tag und Nacht für unsere Protagonisten – die Pferde – da sind. 

Ja, und heute sind wir bei meiner vorerst letzten Reise-Etappe angekommen: in der Gegenwart. In der Ampel-Koalition kriselt es, und bevor ich es vergesse: Sie ahnen es: Bayern München ist wieder Meister geworden – Einiges scheint sich nie zu ändern. 

Aber am wichtigsten ist: Ich stehe hier und empfinde es als großes Privileg, diese Rede halten zu dürfen – darüber bin ich sehr glücklich und stolz. Aber ich bin auch etwas nachdenklich, wenn ich an die Zukunft denke: 

Wie bereits erwähnt, schlagen zwei Herzen in meiner Brust: das des Besitzers und das des Züchters. Und wenn ich etwas länger nachdenke, so muss ich gestehen, dass mein Herz des Züchters noch ein ganz kleines bisschen stärker schlägt. Daher wünsche ich mir vom Verband gerade für die Züchter zukünftig noch etwas mehr Unterstützung als bisher. Auch direkte Partnerschaften von Züchtern oder Syndikate, wie sie in anderen Ländern gängig sind, sollten mehr Akzeptanz erfahren. Wer Interesse an so einer Kooperation hat, kann mich gern später darauf ansprechen. 

Meine Damen und Herren. Albert Schweitzer hat einmal gesagt, „Glück ist das Einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt“. Ich finde, das ist ein schönes Motto für den heutigen Abend: Lassen Sie uns im Hier und Jetzt diese Stunden in Vorfreude auf das morgige Rennen genießen und teilen. 

Ich wünsche allen Anwesenden gutes Gelingen und allen Teilnehmern am morgigen Derby „Hals & Bein“ und einen guten Rennverlauf, der beste möge gewinnen!

 

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