Drucken Redaktion Startseite

Ein Schicksalstag im Februar

George Baker 2016 in Royal Ascot. www.galoppfoto.de

Autor: 

Turf aktuell

TurfTimes: 

Ausgabe 555 vom Freitag, 15.02.2019

Das Schlusswochenende des diesjährigen White Turf Meetings in St.
Moritz steht bevor. Mit dem von Longines gesponserten 80. Grand Prix von St. Moritz steht dabei der sportliche Höhepunkt des Spektakels auf dem zugefrorenen See von St. Moritz auf dem Programm. Die mit 111.111 Schweizer Franken dotierte Prüfung, die in diesem Jahr von zehn Vollblütern aus vier Nationen bestritten wird, darunter neben zwei Startern aus deutschen Quartieren (dem Klug-Schützling Manipur und dem Münchener Gast Jacksun aus dem Stall von Michael Figge) auch der ehemals in Deutschland beheimatete Titelverteidiger Nimrod und sein Vorgänger Jungleboogie, wird auch in diesem Jahr das höchstdotierte Galopprennen in der Schweiz sein und viel mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sonniges Wetter mit Höchsttemperaturen im Plusbereich werden von den Meteorologen für die nächsten Tage vorausgesagt, die Zuschauer wird es freuen, bei den Verantwortlichen sorgt dies allerdings für Beunruhigung. Solche Temperaturen können zum Sicherheitsrisiko werden, weshalb die Rennen diesmal noch früher als üblich über die Bühne gehen sollen, so dass der letzte Start bereits um 14.30 Uhr erfolgen soll, eine Dreiviertelstunde früher als ursprünglich geplant.

Sicherheit hat in St. Moritz diesmal oberste Priorität, die Erinnerung
an den Schlusstag des White Turf Meetings vor zwei Jahren ist noch
allgegenwärtig, ein solches Drama wie am 26. Februar 2017 soll sich
auf keinen Fall wiederholen. Vor zwei Jahren musste die Veranstaltung
nach einem schweren Unfall im ersten Rennen abgebrochen werden. Drei Vollblüter kamen aufgrund der aufgeweichten Piste im Einlauf zu Fall, für den britischen Gast Boomerang Bob endete der Unfall tödlich, sein damals 34jähriger Jockey George Baker überlebte als Sportinvalide.

Baker stand zu diesem Zeitpunkt im Zenit seiner knapp 18 Jahre währenden Jockeykarriere. Der Sohn eines Hufschmieds hatte schon früh den festen Entschluss gefasst, unbedingt Jockey werden zu wollen. Mit 16 Jahren besuchte er das Northern Racing College in Doncaster, wo man ihn ermutigte, seinen Traum in die Realität umzusetzen. Er heuerte am Quartier von Trainer Mark Usher in Lambourn an, für den er im Juni 1999 seinen ersten offiziellen Ritt absolvieren konnte. Seinen ersten Sieg feierte er im Dezember desselben Jahres auf der Sandbahn in Wolverhampton.

Von einem steilen Aufstieg in den Jockey-Olymp kann man bei George Baker allerdings nicht sprechen. Er kam zwar schon im Jahr 2000, seinem ersten vollen Jahr im Rennsattel, zu insgesamt 621 Ritten, von denen er 55 in Siege umwandeln konnte, doch mit abnehmender Erlaubnis und zunehmender Körpergröße wurde es härter für ihn. Baker hatte mit einer Körpergröße von etwas über 1,80m keine Idealmaße für einen Jockey. Im Führring vor einem Rennen war er nicht zu übersehen, überragte er doch meist alle anderen um einen ganzen Kopf. Konnte er anfänglich noch Ritte mit einem Renngewicht von 55kg annehmen, so musste er dies nach einem letzten Wachstumsschub auf gut 57kg anheben, was seine Möglichkeiten deutlich einschränkte. Dennoch konnte er sich in der britischen Jockeyszene etablieren und zu einem langsamen, aber durchaus stetigen Weg in die Spitzengruppe ansetzen.

Anfangs galt er als Mann der Sandbahnen. Passenderweise konnte er auch auf der Sandbahn in Lingfield seinen ersten Triumph in einem
Listenrennen feiern konnte. Zu diesem Zeitpunkt schreiben wir jedoch
bereits das Jahr 2007, mehr als 300 Siege in sportlich wenig aufregenden Prüfungen hatte er zuvor schon erzielt. Sein erster Gruppe-Erfolg datiert aus demselben Jahr. Beim Glorious Goodwood Meeting schaffte er Anfang August mit der Stute Wake Up Maggie einen Gruppe III-Erfolg für Trainer Chris Wall. Für Wall ritt er auch den harten Meiler Premio Loco, der mit ihm zu insgesamt sieben Gruppe-Treffern kam, darunter in 2009 mit dem Baden-Badener Oettingen-Rennen und der Kölner Europa-Meile zwei Gruppe II-Prüfungen auf deutschen Rennbahnen. Auf den ersten Gruppe I-Treffer musste Baker jedoch bis zum Jahr 2013 warten, als er am Champions Day in Ascot die Stute Seal of Approval zum Erfolg steuerte. Diesem ersten Sieg auf höchstem Gruppe-Parkett sollten in der Folgezeit noch drei weitere folgen. Fünf Monate vor seinem katastrophalen Sturz in St. Moritz schrieb er mit dem Außenseiter Harbour Law im klassischen St. Leger in Doncaster Geschichte, als er für den ersten Erfolg einer Trainerin (Laura Mongan) in einem englischen Klassiker sorgte.

Als seine Jockeykarriere am 26. Februar 2017 jäh endete, hatte Baker
insgesamt 1.364 Siege bei mehr als 10.000 Ritten im Rennsattel errungen. In sechs Rennzeiten, davon seine letzten vier in Folge, hatte er mehr als 100 Erfolge pro Saison errungen und dabei jeweils mehr als 1 Million Pfund an Rennpreisen gewonnen. Er war in der erweiterten Spitzengruppe der britischen Jockeyszene angekommen und gehörte längst nicht mehr nur auf den Sandbahnen, sondern auch in Gruppe-Rennen zum Stammpersonal seiner Zunft. Auch privat befand er sich auf der Sonnenseite des Lebens. Mit seiner Frau Nicola verband ihn eine glückliche Ehe, vier Monate zuvor war er erstmals stolzer Vater einer Tochter geworden.

In der Wintersaison 2016/17 ritt er wieder erfolgreich auf den
englischen Sandbahnen, als ihn Trainer Jamie Osborne fragte, ob er für
ihn am Schlusstag des White Turf Meetings in St. Moritz ein paar Ritte
ausführen könne. Eigentlich war Adam Kirby dafür vorgesehen, doch
musste der für einen seiner Hauptpatrone Rittverpflichtungen wahrnehmen und hatte Osborne kurzfristig abgesagt. Baker, der zuvor noch nie beim White Turf Meeting in den Sattel gestiegen war, sagte spontan zu, da er schon viel Positives von den stimmungsvollen After Race Parties in St. Moritz gehört hatte und sich freute, dies nun einmal selbst erleben zu können. Zudem bekam er insgesamt vier Ritte angeboten, die alle als chancenreich galten, so dass er mit einigen Erwartungen am Vorabend des Renntages mit dem Flugzeug von London-Heathrow nach Zürich und von dort zweieinhalb Stunden mit dem Taxi nach St. Moritz anreiste.

An sein letztes Rennen als Jockey hat George Baker nur bruchstückhafte
Erinnerungen. Sein Gedächtnis hat das gesamte Unfallgeschehen, als der von ihm gerittene Boomerang Bob in ein wassergefülltes Loch unter der Schneedecke trat, sich dabei ein Bein brach und beim Sturz über zwei weitere gefallene Konkurrenten seinen Jockey mitriss, komplett
ausgeblendet. Er hat auch keine Erinnerung daran, dass er nach dem Sturz zunächst bei Bewusstsein war, als der englische Trainer John Best als Erster an der Unfallstelle eingetroffen war und ihn ansprach. Best
berichtete, dass Baker ihn aus großen Augen angestarrt hätte, aber
keine Reaktion auf ihn und die danach eintreffenden Sanitäter gezeigt
hätte. Die Sanitäter vermuteten eine Kopfverletzung, versetzten Baker
in ein künstliches Koma und organisierten seinen sofortigen Abtransport
per Hubschrauber in ein Spezialkrankenhaus im 85 Kilometer entfernten
Chur.

Dort stellte man eine Hirnblutung bei ihm fest. Das Ausmaß war zwar
nicht lebensbedrohlich, doch eine Prognose über Langzeitfolgen war
zunächst nicht möglich. Nach einer Woche im künstlichen Koma wurde er wieder aufgeweckt, wonach sich Gedächtnisstörungen, Lähmungen und Sprachprobleme offenbarten. Baker war jedoch transportfähig, so dass er zur Weiterbehandlung in ein Londoner Krankenhaus verlegt wurde. Seine Sprache und auch die Erinnerung an die Zeit vor dem Unfall fand er schnell zurück, doch eine einseitige Lähmung schränkte seine Mobilität stark ein, er war nicht in der Lage, allein zu gehen.

In dieser Phase war er dennoch fest entschlossen, schnellstmöglich in
den Sattel zurück zu kehren. Er hatte vor dem Unfall einen Ritt auf dem
von Roger Charlton trainierten Quest for More im Dubai Gold Cup, einem
der Rennen am Dubai World Cup Tag Ende März, angenommen und war davon besessen, diesen Ritt in Dubai zu absolvieren. Zwei Wochen vor dem Rennen rief er aus dem Krankenhaus Charlton an und erkundigte sich nach Quest for More, den er im Oktober des Vorjahres nach grandiosem Ritt zu einem viel beachteten Sieg über Vazirabad im Prix du Cadran (Gr I) gesteuert hatte, und versicherte Charlton, dass er für Dubai wieder fit sein würde, zu einem Zeitpunkt, als er noch nicht einmal gehen konnte. Natürlich fiel Dubai für ihn flach und Quest for More musste im Dubai Gold Cup auf seine Jockeykünste verzichten (mit Jamie Spencer im Sattel reichte es nur zu Rang 7 im von Vazirabad gewonnenen Rennen).

Seine Rehabilitation machte dennoch erstaunlich schnelle Fortschritte. Bereits im April konnte er vom Krankenhaus in eine Rehaeinrichtung wechseln, auch dort ging es beständig aufwärts für ihn. Mitte Juni besuchte er bereits wieder als Gast erstmals nach seinem Sturz eine Rennbahn, die Gedanken an eine Rückkehr in den Sattel hatte er noch nicht aufgegeben. Doch im November 2017 erklärte er offiziell seinen Abschied von der aktiven Jockeykarriere. Er hatte die Bedenken seiner Ärzte eingesehen und auch selbst erkannt, dass insbesondere die bleibende Einschränkung seines Gleichgewichtssinnes das Rennreiten unmöglich machte und ein weiterer Sturz für ihn fatale Folgen hätte. Sportlichen Aktivitäten wie Tennis und Golf kann er jedoch nachgehen, auch seinen Führerschein hat er wieder zurück erhalten. 

George Baker nimmt wieder am normalen Leben teil, auch dem Rennsport ist er nach wie vor verbunden. Er wird vom britischen Sender Racing UK als Experte eingesetzt, im Herbst letzten Jahres übernahm er zudem die Rolle des Jockeyagenten für William Buick und James Doyle. Er wird somit weiterhin ein Teil der britischen Rennsportfamilie bleiben, wenn auch nicht mehr als aktiver Jockey. Ohne Verbitterung sieht er laut seinen Äußerungen in der im September des Vorjahres erschienenen Biographie „Taking My Time" mittlerweile auch Vorteile im Ende des Jockeydaseins. Endlich konnte er seine zuvor extrem
spartanische Ernährungsweise gekoppelt mit unzähligen Saunabesuchen an Renntagen ad acta legen und auch einmal Spaghetti essen. Ob er sich allerdings an diesem Wochenende auch die Rennen aus St. Moritz ohne einen Moment der Traurigkeit wird anschauen können, wird sein Geheimnis bleiben.

Verwandte Artikel: