Mullins-Festspiele in Cheltenham
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TurfTimes:
Es ist unwahrscheinlich, dass Helen und Ted Walsh bei der Namensgebung ihres ältesten Sohnes den ersten Tag des Cheltenham-Festivals im Kopf hatten, schließlich nannten sie ihn Rupert, nicht „Ruby“. Und doch wurde dieser Tag erneut ein "Ruby Tuesday" - zu einem Triumph-Tag des irischen Jockeys, als Stalljockey von Willie Mullins drei Sieger ritt; es wären vier geworden, wäre die als heiße Favoritin gestartete Annie Power nicht mit dem Sieg in der Hand an der letzten Hürde zu Fall gekommen und so die Buchmacher dem Vernehmen nach vor einer 80 Mio Pfund Auszahlung auf Schiebewetten bewahrte.
Seit Wochen schon hatte sich herauskristallisiert, dass das Team an Vierbeinern, die Willie Mullins aus seinem Closesutton Yard im County Carlow gen Cheltenham senden würde, quantitativ, aber vor allem an Qualität, sein bisher stärkstes werden würde. Ein Starter, ganz zu schweigen ein Sieger, beim Festival ist der Traum eines jedes Besitzers und Trainers; bei Mullins ging es in der aktuellen Saison schon lange nicht mehr darum, ob, sondern wie viele seiner Schützlinge als Sieger nach Hause reisen würden. 13 Grade I-Rennen werden über die vier Tage des Festivals gelaufen, vier davon am ersten Tag, und die akkumulierte Quote der vier Favoriten aus dem Mullins-Stall betrug magere 14-1, so überlegen schienen seine gemeinten Starter.
Trainer-Kollegen aus England und Irland mussten sich seit Wochen an die Hoffnung klammern, dass es auch - und gerade - im Rennsport anders kommt, und zweitens als man denkt, doch die Entwicklung der Ereignisse an Tag Eins des Festivals waren an Brillanz - und Drama - dann kaum zu überbieten. Die Mullins-Schützlinge Douvan und Un de Sceaux setzten in der Supreme Novice Hurdle (Grade I, 2m 1/2f; das Rennen, in dem die zukünftigen Champion Hurdler laufen) und der Arkle Chase (Grade I, 2m; für Nachwuchs-Champion- Chaser) den Takt mit absolut beeindruckenden Vorstellungen. Vor allem Un de Sceaux beeindruckte durch sein ökonomisches Springen in Höchstgeschwindigkeit, und dann war nach einem Handicap auch schon das Hauptrennen an der Reihe: die Champion Hurdle über schnelle 3300m (2m 1/2f), in dem deutsche Interessen durch den Soldier Hollow-Sohn Arctic Fire vertreten waren, in der Lüneburger Heide von Uwe Grüning gezogen.
Im Star-Aufgebot des Mullins-Stalls war er die vermeidlich dritte Farbe, nach Alt-Star Hurricane Fly und dem „Talking Horse“ Faugheen; der 7jährige Germany-Sohn kam ungeschlagen in den Prestbury Park, hatte zwar Pferde dieses Kalibers noch nicht gesehen, war aber die Wahl von Ruby Walsh, der damit Hurricane Fly verschmäht hatte. Walsh bewies erneut den richtigen Riecher, es wurde eine Demonstration von Pferd und Reiter, die nach einem Rennen von der Spitze aus nie einen anderen Gegner sahen. Früh war klar, dass es zum dritten Mal an diesem Tag für einen Mullins-Favoriten kein Verlieren geben würde, Hurricane Fly würde keine 3. Champion Hurdle gewinnen, da kam Artic Fire mit einer tollen Schlußattacke von weit hinten auf Platz Zwei gestürmt. „The Fly“ lief ein tapferes Rennen und wurde Dritter, es war das erste Mal in der Geschichte des Festivals, dass ein Trainer die drei Erstplatzierten dieses Rennens stellte. „Was soll ich sagen, alles ist noch etwas frisch und fast surreal und muss erst einmal sinken. Schauen Sie, Faugheen war fantastisch, Ruby war fantastisch. Aber dieser Kollege hier“ - hier schaute Mullins auf Artic Fire „ist ein super Rennen gelaufen. Ich würde vielleicht sogar sagen, dies ist das Pferd, welches sich noch am meisten verbessern kann.“
Und so blieb im vieren Grade I-Rennen von Tag Eins nur Annie Power, um Sieg vier für Mullins/Walsh unter Dach und Fach zu bringen, und alles sah so gut aus, als die mächtige Shirocco-Tochter aus der Röttgener Stutenfamilie der Anna Paola „Hände voll“ in die Gerade einbog. Doch die Unwägbarkeiten des Rennsports schlugen erbarmungslos zu, als sich die Stute an der letzten Hürde grandios verschätzte und schwer stürzte. Zum Glück kamen Pferd wie Reiter sofort wieder auf die Beine. Und wer glaubte, dass damit auch die Chancen von Willie Mullins dahin waren, sah sich erneut eines Besseren belehrt, als in einem dramatischen Finish Mullins' zweite Farbe, die bezeichnenderweise auch als zweiter Favoritin gestartete Glens Melody das Rennen für sich entscheiden konnte. Damit hatte nicht nur Trainer Mullins in der Trainerwertung die Nase vorne, auch die Iren stellten fünf der sieben Sieger.
Und "irisch" ging es auch an Tag Zwei weiter, als Dermot Weld die einleitende Neptune Investment Management Novices´ Hurdle (Grade I, 2m5f) mit Windsor Park (Galileo) gewann, seinem bisher dritten Cheltenham Festival-Sieger, in den Farben des irischen Pharma-Magnaten Dr. Ronan Lambe. Der Ascot Gold Cup könnte ein Langzeitprojekt für Windsor Park sein.
Nahtlos weiter ging es mit der RSA Chase (Grade I, 3m1f), dem Gold Cup für Nachwuchs-Chaser. Erneut hatte Irland in der Form von Willie Mullins den Kopf in Front, auch wenn Ruby Walsh diesmal nicht im Sattel saß. Michael O'Learys Gigginstown House Stud arbeitet mit einem eigenen Stalljockey, dem jungen Bryan Cooper. Don Poli war schon lange kein Geheimtipp mehr, im Gegenteil. Im letzten Jahr hatte der nun sechsjährige Poliglote-Sohn bereits ein Hürdenrennen während des Festivals gewonnen, aber Jagdrennen waren immer das Ziel des mächtigen, fast schon altmodisch gebauten Wallachs. Es war denn auch sein phänomenales Springvermögen, das ihn wieder und wieder im Rennen hielt, nachdem ihm augenscheinlich über lange Strecken nicht klar war, dass er sich überhaupt in einem Rennen befand.
Nachdem Paul Nicholls im Coral Cup endlich auch seinen ersten Festival Sieger des Jahres 2015 stellte, steuerte der Tag unaufhaltsam auf den Höhepunkt des Tages, für viele vielleicht der Höhepunkt des Meetings, zu - die Champion Chase. Würde Sire de Grugy erneut gewinnen, könnte Sprinter Sacre nach seinen gesundheitlichen Problemen zu alter Größe zurückfinden? Oder sollte gar der Jungstar der Szene, der von Frankie Dettori gezogene und von Paul Nicholls trainierte Dodging Bullets, seinem Trainer einen fünften Sieg in dieser Prestige-Prüfung bescheren? Er sollte. Nicholls selber hatte nie einen Zweifel daran gelassen, welche Wertschätzung er dem Dubawi-Sohn entgegenbrachte. „Ich kann gar nicht verstehen warum er nicht Favorit ist, er müsste nach jeder Form Favorit sein, aber manchmal wetten die Leute wohl doch mit dem Herzen und nicht mit dem Kopf“, konstatierte ein erleichterter Nicholls nach dem Rennen.
Gerade hatte er gesehen, wie sein Schützling nach einem cleveren Ritt des jungen Stalljockeys Sam Twiston-Davies alle Angriffe des alten Haudegens Somersby (für den offiziell Mick Channon als Trainer zeichnet, nachdem Henrietta Knight, die natürlich alle Hindernispferde in diesem Arrangement betreut, vor einigen Jahren ihre Lizenz vorläufig aufgegeben hatte) abwehrte und einem letztendlich sicheren Sieg entgegen galoppierte, während Sire de Grugy anscheinen am Boden scheiterte und nur Vierter wurde, und Sprinter Sacre gar vor dem letzten Hindernis in aussichtsloser Lage ganz angehalten werden musste. Auch der Evergreen Sizing Europe, nun 13 und vor vier Jahren Sieger dieses Rennens, wird wohl sein letztes Rennen gelaufen sein, auch wenn beide noch nicht offiziell im Ruhestand sind, zumindest bei Sprinter Sacre möchte man sich noch nicht geschlagen geben, obwohl neben den gut dokumentierten Herzproblemen zuletzt durchsickerte, dass der Wallach auch ein Bluter-Problem hat.
England polierte dann seine Statistik weiter auf, die Fred Winter Handicap Hurdle und der Champion Bumper blieben im Lande, während es in der so beliebten Cross-Country Chase zu dramatischen Szenen kam, als zwei Pferde kurz vor Ziel ausbrachen und einen Photographen der Racing Post überrannten, der sich nur mit einem Hechtsprung überhaupt retten konnte und sich dabei einen komplizierten Beinbruch zuzog.
Der dritte Tag in Cheltenham zeigte dann zumindest zu Beginn das gewohnte Bild: Das Mullins/Walsh-Team schlug wieder mit einem Favoriten zu, denn die JLT Novices‘ Chase (Gr. I) wurde nach 4000 Meter eine deutliche Angelegenheit des sechs Jahre alten Vautour (Robin des Champs). Der Wallach in den Ricci-Farben hatte vor einem Jahr an gleicher Stelle das Supreme Novices‘ Hurdle gewonnen, der Wechsel auf die Jagdbahn war zunächst etwas holperig, zumal er zu Weihnachten in Leopardstown nicht überzeugen konnte. 15 Längen Vorsprung hatte er im Ziel auf Apache Stronghold (Milan), dahinter komplettierte Valseur Lido (Anzillero) die irische Dreierwette. Willie Mullins sprach anschließend davon, dass Vautour „definitiv ein Gold Cup-Pferd“ sei.
Das war es an diesem Tag aber schon mit den Favoritensiegen – ein etwas freundlicherer Tag für die Buchmacher, die bis dahin wenig gute Laune hatten -, denn nachdem Trainer Nicky Henderson mit Call The Cops (Presenting) auf Handicap-Ebene seinen ersten Meetingssieg geschafft hatte, was dann auch AP McCoy gelang, überraschte Cole Harden (Westerner), ein sechs Jahre alter Wallach aus dem Stall des aufstrebenden britischen Trainers Warren Greatrex im Ladbrokes World Hurdle (Gr. I) Start-Ziel über drei Meilen. Drei Platzierungen bei den jüngsten Starts, zuletzt hinter drei aktuellen Gegnern, waren nicht unbedingt angetan, ihn zu favorisieren, aber sein Team hatte sich kurzfristig entschlossen, ihn an der Luft zu operieren. Dies und der gute Boden waren ein Plus für ihn, Gavin Sheehan im Sattel hatte am Ende über drei Längen Vorsprung auf den Favoriten Saphir du Rheu (Al Namix) sowie Zarkandar (Azamour).