Ferdinand Leve im Porträt: "Wir haben keinen Lufthafer!"
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TurfTimes:
Die Spannung steigt in Warendorf, am Sonntag ist es soweit, der 155. Henkel-Preis der Diana steht an. Dann gehen gleich zwei Schützlinge von Ferdinand Leve auf die Jagd nach Gruppe I-Ehren. Daytona Bay wird zu den Favoritinnen gehören. Leve sagt: „Von Rennen zu Rennen ist sie ausgeglichener geworden, sowohl im Rennen als auch im Training. Der Hingucker ist sie vielleicht nicht, sie ist eher groß und fein und wird sich sicher noch weiter modellieren. Die Mutter war ein ähnlicher Typ, war etwas eckig, aber bei Beiden sitzt der Motor hinten.“ Calyxa war bisher nur über 1600 Meter am Start, das nötige Stehvermögen für die Diana traut Leve ihr trotzdem zu: „Sie hat ein unglaubliches Phlegma, die können Sie hinten reiten, vorne reiten, die regt sich nicht auf. 600 Meter mehr sind zwar ein Sprung, aber sie wird in ruhiger Position geritten und dann einmal wach gemacht. Allerdings braucht man vor allem eins, Glück. Es ist nicht immer alles Können. Es gewinnt nicht immer der Beste, sondern ab und zu auch mal der Glücklichste.“ Schließlich wollen auch andere vorn dabei sein. Über die Chancen sagt Leve: „Wenn Secret Gesture kommt, dann ist sie sicherlich ein knallharter Faktor, zumal sicher ein Topjockey draufsitzen wird. Ansonsten ist das Feld unter den ersten fünf schon sehr ausgeglichen. Ob Daytona Bay dann Totofavorit wird oder nicht, macht mich nicht nervös, aber es sind schon viele gute Pferde dabei.“ Damit das Glück ihnen auch am Sonntag hold bleibt, hat sich Janet Leve-Ostermann nach dem eingeflochtenen Ring etwas Besonderes für Daytona Bay ausgedacht. Was es ist, bleibt bis Sonntag aber ein Geheimnis, gut Hinsehen ist also angesagt.
Drei Gruppe-, drei Listen-, ein Auktionsrennen und insgesamt sechs Platzierungen auf Black Type-Ebene im Jahr 2013. Was sich Ende Juli durchaus wie die Bilanz eines großen Berufstrainers lesen ließe, ist tatsächlich die von Besitzertrainer Ferdinand Leve. Errungen wurden die genannten Erfolge von sechs Pferden, allen voran Felician mit zwei Gruppesiegen, hinzu kommen Daytona Bay, Cayxa, Ideal sowie die Geschwister Lucarelli und Laviva. Von 24 aktiven Pferden sind erst dreizehn in dieser Saison an den Start gekommen, genausoviele Siege stehen aktuell zu Buche, im Schnitt gewinnt jeder dritte Starter – eine Traumquote, sagt auch Ferdinand Leve selbst: „Wir haben in der Saison bisher so unglaublich viel erreicht, das konnten wir uns vorher gar nicht vorstellen. Geplant haben wir das natürlich nicht, aber es fühlt sich gut an.“
Bei den Erfolgen, zumal durchaus mit Pferden, die sich in jüngerer Vergangenheit eher auf Handicap-Ebene bewegten, tauchte in den letzten Wochen das eine oder andere Mal die Frage auf: Wie ist das möglich? Wer angesichts der Erfolge der Pferde von Besitzertrainer Ferdinand Leve eine Art Hexenküche in Warendorf vermutet, wird enttäuscht. Die idyllisch im Grünen gelegene Anlage beherbergte vor einigen Jahren unter anderem den Rennstall von Peter Rau, sie wurde von Leve selbst, der im Hauptberuf Architekt ist, entworfen. Neben den aktiven Galoppern von Haus Ittlingen und Hof Warendorf sind zehn Zuchtstuten, die dazugehörigen Fohlen und Jährlinge sowie drei Hengste für Voll- und Warmblutzucht auf dem Anwesen im Warendorfer Norden beheimatet. Guckt man genauer hin, fallen aber doch einige Dinge auf, die anders sind als im typischen Rennstall. Der erste Sattel, der beim Betreten des Stalls ins Auge fällt, ist kein Arbeits- sondern ein Springsattel. Der gehört zu Norbert Talabér, Springreiter, der jeden Morgen im Stall der Familie Leve circa drei Pferde reitet. Beim Turf-Times-Besuch ist gerade Integral dran, der auf eine Karriere als Deckhengst in der Warmblutzucht vorbereitet wird. Doch auch die aktiven Galopper kommen unter den Sattel Talabérs, der eine mehr, der andere weniger, je nach Bedarf. Lucarelli gehörte zu den schwierigen Kandidaten, lief stets schief. Also ging es ans Gymnastizieren und jeden Morgen vor der Arbeit an die Longe, zum locker werden, übrigens auch das Rezept für Laviva. Die Erfolge auf der Rennbahn zeigen, dass es funktioniert. In Hamburg und Hannover kam die Longe auch vor dem Rennen dran. Die Menschen dachten, wir kommen mit einem Voltigierpferd um die Ecke“, schmunzelt Ferdinand Leve.
Auch sonst findet man das eine andere Detail, welches eher an Reit- als an Rennsport erinnert, kein Wunder, schließlich kommt Leve aus dem Lager der Vielseitigkeitsreiterei. Ein Hang zur Akribie ist zu erkennen, nicht nur beim Training, wo er sich bemüht, für jedes Pferd das passende Rezept zu finden, auch beim Drumherum. Jedes Pferd hat seine eigene Trense, im Reitsport Normalität, im Rennsport Ausnahme. Die Trense muss schließlich passen, vor allem das Gebiss. Ein anderes Steckenpferd Leves ist die Reitkultur. „Wenn ich morgens meine Zeit investiere, möchte ich auch, dass meine Pferde und Mitarbeiter konzentriert mitarbeiten. Was auch eine Sache des Reitsports ist, ist das Ausprobieren und das Verändern kleiner Dinge, um zu schauen, ob es dann besser läuft. Das ist im Reitsport völlig normal und keine Wissenschaft. Ich glaube, dass die Kultur des Reitens früher auch im Rennsport höher war und ich würde mich freuen, das maße ich mir jetzt mal an, wenn viele Trainer auf diese Kultur des Reitens wieder Einfluss nähmen. So können wir letztlich unsere Leute verbessern und über unsere Leute verbessern wir unsere Pferde.“
In der Halle treten die Pferde derweil über Stangen, laufen Slalom und stören sich auch nicht am laufenden Radio. Danach geht es auf die Bahn zum Canter, hinterher geht es wieder in die Halle, zum Abtraben und Durchpusten – auf dieses Feierabendsignal legt Leve Wert. Zum Ein- und Ausklang des Arbeitstages geht es auf die Paddocks. „Das ist ein Grund, warum ich glaube, dass unsere Pferde insgesamt so gute Leistungen zeigen; sie tanken alle Sonne. Im Normalfall sind sie bis mittags alle draußen und liegen in den Sandpaddocks lang in der Sonne, bekommen also Vitamin D und sind unglaublich ausgeglichen.“ In der Tat ist weit und breit kein nervöses Pferd zu sehen, am meisten Hampeln tut da noch Lucarelli, aber der ist beim Weg zur Waage auch nur damit beschäftigt, allen Anwesenden zu beweisen, dass er ein Hengst ist. Wichtig ist Leve eins: „Die Art wie wir zu Hause unsere Pferde halten und trainieren ist nur möglich, weil wir eine überschaubare Anzahl von 24 Pferden haben. Das ist in einem großen Stall überhaupt nicht möglich. Viele andere große Trainer würden sich sicherlich, wenn sie die Möglichkeit hätten, ein ähnliches Programm überlegen. Auch bei uns wäre es mit mehr als dreißig Pferden nicht mehr machbar.“
Das Interview mit Ferdinand Leve | |
Wo machen Sie Grasgalopps? | „Wir fahren zwischendurch mal nach Dortmund, aber nicht so häufig. Das ist das Gute an unserem Naturboden, er ist dem Gras relativ ähnlich, nur von der Substanz her ist er weicher, in etwa 4,8-5,0, aber das Material ist das gleiche. Wir fahren gut damit, das zeigt auch die Erfahrung. Peter Rau hat auch auf Naturboden trainiert und wenig auf Gras gearbeitet. Wir fahren nur mit den jungen Pferden nach Dortmund, alles andere können wir hier zu Hause trainieren. Gerade bei diesen Temperaturen ist eine Grasbahn so schnell, dass ein Trainingsreiz nur über Geschwindigkeit gesetzt werden kann. Und Geschwindigkeit bedeutet Gefahr. Das Risiko, sich zu verletzen, ist relativ hoch, gerade auf fester Bahn.“ |
Wie entscheiden Sie, wer im Rennstall bleibt? | „Die Stuten selektieren wir. Mal sehen, was im Herbst aus dem Rennstall geht, es werden vielleicht zwei Stuten nach England zur Auktion gehen. Die Dreijährigen, die gut gelaufen sind, bleiben. Vielleicht bleibt auch Lucarelli noch ein Jahr im Rennstall, das entscheiden wir im Herbst anhand seiner weiteren Entwicklung. Mich würde es reizen, ihn über einen noch längeren Weg, vielleicht 4000 Meter, flottzumachen. Aber dafür gibt es in Deutschland keine Möglichkeiten. Und er braucht weicheren Boden. Laviva ist auch eine Stute, die so ihre Problemchen hatte. Ihre Steifheit ist oft bei großen Pferden anzutreffen. Bei diesen Pferden ist es deutlich schwieriger, sie dazu zu bringen, vorwärts-abwärts zu traben und über den Rücken zu arbeiten. Wir longieren diese Pferde, damit sie sich besser lösen und vor dem eigentlichen Training schon gymnastiziert sind.“ |
Wie erklären Sie sich die bisherigen Erfolge in dieser Saison? | „Wir haben am 2. Januar angefangen mit 1.000 m Hoppelcantern und haben dann diese Distanz pro Woche um 700 m verlängert, bis wir Ende Februar bei circa 4500 Metern waren, gleichmäßig, ganz ruhig. Dann haben wir die Distanzen verkürzt und die Geschwindigkeit langsam erhöht. So hatten wir Anfang der Saison eine gute Grundkondition. Die Pferde waren in etwa bei 70 %, was Anfang der Saison gut reichte. Und mit jedem Start konnten sich die Pferde dann mehr Kraft und Routine holen. So sind wir mit allen Pferden sehr gleichmäßig in die Saison gekommen. Die Kunst ist natürlich, die Form so zu halten.“ |
Wie kamen Sie überhaupt zum Rennsport? | „Vor über 25 Jahren habe ich mein erstes Vollblut gekauft, Sheraton, ein Schimmel von Tarim, den mein Schwager gezogen hatte. Er stand in der Klinik in Hochmoor, war nur dreijährig gelaufen. Ich habe ihn legen lassen und auf die Weide gestellt, da fiel der zusammen wie ein Esel. Vierjährig ist der in Gang gekommen, ich habe ihn Vielseitigkeit geritten, er war schnell auf A, L, M-Niveau. Martin Plewa war damals noch Bundestrainer und wollte ihn für Seoul trainieren lassen. Weil sie ihn nicht versichern wollten, habe ich ihn jedoch wieder abgeholt und beschlossen, ihn zu trainieren neben der Vielseitigkeit. Jutta Schultheis hatte damals hier ihre kleine Bahn. Achtjährig ist der dann in Hannover gelaufen und gewann mit zehn Längen. Dann haben ich die nächsten gekauft, auch mal ein paar größere. Irgendwann kam dann die erste Stute, ich dachte mir, ich könnte mal einen züchten. Die erste Stute hat mir direkt drei gute Produkte gebracht, die allesamt gute Rennpferde waren, Lapislazuli war zum Beispiel ein Ausgleich I-Pferd. Und so bin ich angefangen zu züchten. Später kaufte ich, als ich bei Schlenderhan arbeitete, Irun, die Großmutter von Intendant. Und so fing das an, dass ich mich auch für Pedigrees interessiert habe.“ |
Wie kommt es, dass bei den älteren Pferden auf einmal der Knoten platzt? | „Wenn man züchtet, muss man das nehmen, was herauskommt. Auf einer Auktion kann man sich Pferde aussuchen, das geht beim Züchten nicht. In den letzten Jahren haben wir ganz gute Produkte gezogen; allerdings oft späte Pferde. Lucarelli, Laviva und auch Felician waren aufgrund von gesundheitlichen Problemen keine Drei- und Vierjährigen. Erst jetzt können sie ihre Klasse beweisen. Die Zeit, die es oft braucht, hat man in den großen Ställen nicht.“ |
Was würden Sie gerne noch im Rennsport erreichen? | „Das Größte wäre, wenn sich unsere Pferde ihren Möglichkeiten entsprechend weiter entwickeln können, gesund bleiben und wir ihnen entsprechende Leistungen abverlangen können; dies wäre mein größter Wunsch. Kurzfristig wünsche ich mir, die Pferde in den kommenden Tagen so fit zu halten, dass wir in der Diana richtig mitmischen können. Ein schlechter Rennverlauf wäre für mich am ärgerlichsten, deswegen haben wir für Daytona Bay auch bereits die Außenbox beantragt. Alles andere werden wir sehen. Ich habe mit Hilfe meiner Mitarbeiter dieses Jahr so viel erreicht, dass wir jetzt eigentlich aufhören müssten. Wir haben Gruppe-, Listen- und Auktionsrennen gewonnen. Und was noch viel wichtiger ist, wir haben zusammen Spaß gehabt. Wir haben uns nicht unter Druck gesetzt. Für die Pferde ist am besten, wenn in den nächsten Tagen alles wie immer läuft; die Diana ist erst Sonntag. Ich hatte mit Intendant schon ein Gruppe I-Pferd, das war schon ein irres Gefühl. Schauen wir mal.“ |
Haben Sie einen Aberglauben? | „In Krefeld wollte ich den gleichen Anzug tragen wie in Baden-Baden, wusste aber nicht mehr genau, welcher es war. Also bin ich im Schlafanzug in den Stall gelaufen, um die Siegerfotos anzuschauen. Zwei Minuten vor unserer Abfahrt stand ich noch vorm Spiegel, um die Krawatte zu binden und stellte fest, dass ich keinen blauen, sondern einen dunklen Anzug erwischt hatte. Es war zu spät zum Umziehen. Und wissen Sie, was bei raus gekommen ist, Felician ist trotzdem schnell gelaufen.“ |
Gibt es ein Rennen, das Sie mal gewinnen wollen? | „Einmal im Leben möchte ich mal ein richtig großes Rennen im Ausland angreifen.“ |
Haben Sie Vorbilder? | „Ein Vorbild als Trainer, da gibt es eigentlich nur einen und das ist Heinz Jentzsch. Er war bescheiden, ihn konnte nichts aufregen, er hatte eine klare Linie. Ich habe ihn kennenlernen können und habe mich des Öfteren mit ihm unterhalten. In den letzten Jahren haben wir ihn in Iffezheim regelmäßig besucht und er ist gerne mit zur Auktion gegangen. Bei einem dieser Treffen hat er mich zu sich nach Hause eingeladen. Er müsse mir etwas zeigen. Er kam dann zurück mit einem Ölbild und fragte mich, ob ich das Pferd kenne. Ich wusste, dass er malt. Es war mein Intendant. Ich wusste nicht so recht, was ich sagen sollte und habe ihn dann gefragt, ob er mir das Bild verkaufe. ‚Nein‘, sagte er, ‚ich schenke es Ihnen ‘. Jetzt hängt es im Wohnzimmer an der Wand. Das ist eine ständige, sehr persönliche Erinnerung an ihn.“ |
Was machen Sie, wenn Sie von Pferden oder dem Job die Nase voll haben? | „Schwierige Frage, das sind im Prinzip zwei Leidenschaften. Ich gehe von den Pferden zum Job und vom Job komme ich nach Hause und gehe wieder in den Stall. Wir leben gerne in Warendorf; alles am Haus zu haben ist wie Urlaub. Leider teilen unsere Kinder die Pferdeleidenschaft nur teilweise, was auch in Ordnung ist; sie haben andere Interessen. Gelegentlich fahren sie mit uns zu den Rennen. Letztens fragte mich mein zwölfjähriger Sohn Julius, wie lange unser Rennbahnaufenthalt dauern würde. Bis nach dem fünften Rennen, sagte ich, das ist halb fünf und dann können wir nach Hause fahren. Da sagte er: ‚Halb fünf, dann müssen wir ja noch zur Siegerehrung…‘. Ich habe ihm dann gesagt, dass wir den Sieg ja noch erringen müssten. Da sagte er: ‚Wieso, das Pferd läuft doch immer gut‘. So war es – Felician gewann.“ |