TurfTimes:
Ausgabe 233 vom Donnerstag, 20.09.2012
Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass es noch lebende Zeitzeugen der Rennkarriere des von Augenzeugen als rotbrauner Hengst fehlerfreien Exterieurs bezeichneten Hengstes Ladas gibt. Der vom Championvererber Hampton abstammende Brite wurde schließlich 1891 auf dem Crafton Stud von Lord Roseberry geboren. Auf englischen Rennbahnen war er in den Jahren 1893 bis 1895 zu bewundern, was trotz fortschreitender Langlebigkeit einfach zu lange zurückliegt, um noch von einem unserer Leser live mitverfolgt worden zu sein.
Auch aus seiner Gestütskarriere als Deckhengst, die im aktiven Einsatz bis 1912 dauerte, bevor er am 31. März 1914 verstarb, dürfte er kaum jemandem bekannt sein, findet sich sein Name doch nur noch höchst selten in den hinteren Generationen moderner Stammbäume. Er selbst zeugte zwar zwei klassische Sieger, doch waren beides keine Cracks, die selbst zu Deckhengsten wurden. Sein auf der Rennbahn profiliertester Nachkomme mit Siegen in den Eclipse Stakes und den Prince of Wales’s Stakes war mit Epsom Lad ausgerechnet ein Wallach. Auch über von ihm gezeugte Stuten schaffte es Ladas nicht, sich nachhaltigen Einfluss zu verschaffen. Wenn überhaupt, dann ist sein Name höchstens Besuchern des englischen Derby-Meetings in Epsom bekannt, die bei einem Trip nach Epsom zufällig durch die Woodcote Road kommen, dort auf einen Pub namens „The Ladas“ stoßen und auf dem Schild ein historisches Pferdegemälde des Namensgebers entdecken. Allzu wahrscheinlich ist allerdings auch diese zufällige Begegnung nicht, liegt die Woodcote Road doch etliche Meilen von der Rennbahn entfernt.
Camelot nach seinem Erfolg im Derby - die Triple-Crown blieb im verwehrt. www.galoppfoto.de - John James ClarkIn diesen Tagen werden manche Turf-Journalisten jedoch auf den Namen Ladas stoßen, wenn sie ihre schon fast fertig geschriebenen Lobeshymnen über den ersten Triple Crown Sieger seit Nijinsky auf der Suche nach passenderen historischen Camelot-Vorbildern überarbeiten müssen. Der Samstag in Doncaster schien der perfekte Rahmen für ein unvergessliches Kapitel im großen Geschichtsbuch des britischen Turfs zu sein. Sonnenschein, eine prachtvolle Kulisse und ein ungeschlagener vierbeiniger Star, der sich anschickte, gleich in zweifacher Hinsicht Turf-Geschichte zu schreiben. Camelots Erfolg im englischen St. Leger hätte Trainer Aidan O’Brien die Komplettierung seiner englischen Klassikersammlung in diesem Jahr beschert: Alle fünf klassischen Rennen des britischen Turfs wären in sein Quartier gewandert. Zudem wäre es 42 Jahre nach Nijnsky wieder zu einem Triple Crown Erfolg gekommen. Gerade in Zeiten zunehmender Spezialisierung auf Rennen derselben Distanz ist die Leistung, sich in der Derby-Saison über 1600m, 2400m und 2900m mit den Besten des Jahrgangs erfolgreich zu messen, nicht hoch genug anzusiedeln.
Nur zweimal seit Nijinsky, dem einzigen Triple Crown Gewinner der britischen Nachkriegsgeschichte, bestand vor 2012 überhaupt die Möglichkeit auf eine Wiederholung einer solchen Leistung: Einzig Nashwan (1989) und Sea The Stars (2009) gewannen die 2000 Guineas und das englische Derby, beide verzichteten auf einen Start im St. Leger. Camelot suchte seinen Platz in den Geschichtsbüchern und schaffte es nicht. Er verfehlte den Sieg und musste sich dem Außenseiter Encke um eine dreiviertel Länge geschlagen geben.
Exakt denselben Abstand wies im Jahr 1894 besagter Ladas auf die 510:10 Außenseiterin Throstle bei seinem Triple Crown Versuch in Doncaster auf. Wie Camelot ging auch Ladas nach Siegen in den 2000 Guineas und dem englischen Derby als klarer 19:10 Favorit ins Rennen und scheiterte überraschend vor den Augen seines im selben Jahr zum britischen Premierminister avancierten Besitzers. Den Nimbus des Ungeschlagenen verlor das historische Camelot-Vorbild allerdings nicht erst im St. Leger. Nach vier Siegen bei vier Starts als Youngster behielt der nach einem für seine Schnelligkeit berühmten Botenläufer im griechischen Heer Alexander des Großen benannte Ladas seine „weiße Weste“ zunächst auch als Dreijähriger. Er gewann die 2000 Guineas als Saisondebütant, um anschließend ein 2000m-Rennen vor dem Derby ebenfalls leicht zu gewinnen. Ins Epsom-Derby ging er als einer heißesten Favoriten der Geschichte zu einer Quote von 12:10 und enttäuschte seinen großen Anhang nicht. Doch anschließend zog er im Jahrgangsvergleich mit dem ein Jahr älteren Isinglass, der 1893 zum Triple Crown Gewinner aufgestiegen war, zweimal den Kürzeren. Sowohl in den Prince of Wales’s Stakes über die Meile als auch in den Eclispe Stakes über 2000m belegte Ladas jeweils nur den 3. bzw. 2. Platz hinter Isinglass.
Bei der Rückkehr in ein nur für die Jahrgangsgefährten offenstehendes Rennen schien seinem Sieg nichts im Wege zu stehen, doch verlaufen Galopprennen nicht erst im Jahr 2012, sondern auch schon 1894 nicht immer so, wie man es im Vorfeld erwartet. Während Camelot diesmal auf den letzten 200m die zu große Lücke zum enteilten Encke nicht mehr schließen konnte und so seinen schon reservierten Platz in der Liste der bislang 15 Triple Crown Sieger nicht einnehmen konnte, war es 1894 genau anders herum: Der deutlich führende Ladas wurde auf den letzten Metern von der heranfliegenden Throstle noch überlaufen.
Matthew Dawson: Erfolgreicher englischer Galopptrainer des 19. Jahrhunderts in einer zeitgenössischen Darstellung. Foto: Wikidepia-CommonsLadas Trainer war kein Geringerer als Matthew Dawson, einem im 19. Jahrhundert höchst erfolgreichen Meister seines Faches. Ihm gelangen insgesamt 28 klassische Siege im britischen Turf gelangen, darunter sechs Derby-Erfolge. Zu Ladas Zeit hatte sich der 1820 geborene Dawson angesichts seines fortgeschrittenen Alters und seiner durch chronische Gicht eingeschränkten Gehfähigkeit schon weitgehend vom Trainerberuf zurückgezogen. Von 1891 an trainierte er nur noch wenige Vollblüter ausschließlich für Lord Roseberry. Ladas hielt er zu Beginn der Saison 1894 für den besten Vollblüter, den er je trainiert hatte. Diese Einschätzung revidierte er am Ende der Saison und stufte ihn hinter St. Simon als Zweitbesten seiner Schützlinge ein.
Ob die Geschichte des gescheiterten Triple Crown Aspiranten Ladas auch in der Zeit nach der St. Leger-Niederlage als Vorbild für Camelot herhalten kann, ist derzeit noch nicht zu beantworten. Jeder Turf-Fan mit Sympathie für Camelot wird sich wünschen, das dem nicht so ist. Ladas bezog nach dem St. Leger-Flop Winterquartier und sollte seine Rennlaufbahn als Vierjähriger fortsetzen. Lord Roseberry wollte unbedingt Revanche an Isinglass nehmen und versuchte während des Winters ein „Match-Race“ gegen den ein Jahr älteren Konkurrenten für das Frühjahr 1895 zu organisieren. Isinglass Besitzer, Colonel Harry McCalmont, der kurz zuvor das Chevely Park Stud erworben hatte, lehnte das Ansinnen ab, da Isinglass gezielt auf den Ascot Gold Cup vorbereitet werden sollte (der Hengst gewann dieses damals in seiner sportlichen Bedeutung noch weit höher als heutzutage angesiedelte Rennen auch). Doch auch ohne die Absage wäre es wohl kaum zu einem Aufeinandertreffen der beiden Kontrahenten gekommen. Ladas wurde im Training durch immer neue Probleme aus dem Rhythmus geworfen und war einfach nicht an den Start zu bringen. Zudem wurde sein Training zunehmend problematischer, da er sich sehr unbeherrscht, reizbar und stürmisch verhielt, wie Zeitzeugen berichteten. Ende September 1895 versuchte man dann doch einen Start in den Jockey Club Stakes in Newmarket. Ladas ging unter Höchstgewicht als erste Stallfarbe seines Besitzers, der mit Sir Visto auch den Derby-Sieger des Jahres 1895 in dieser Prüfung satteln ließ, ins Rennen. Doch war er bei seinem späten Saisondebüt nicht im Vollbesitz seiner Kräfte und baute in der Endphase ab, so dass am Ende nur Rang 4 im elfköpfigen Feld heraussprang. Weitere Startversuche blieben Ladas danach erspart. Er wurde aus dem Training genommen und im Gestüt seines Besitzers als Deckhengst aufgestellt.