TurfTimes:
Ausgabe 374 vom Donnerstag, 02.07.2015
Viel besser hätte die Saison für Trainer Andreas Wöhler nicht starten können. „Eine Siegquote von 40 Prozent, das ist doch bekloppt“, heißt es mit dem typischen Wöhler-Grinsen, „das wird man über das Jahr natürlich nicht halten können.“ Alleine sieben Grupperennen wurden gewonnen und nicht wenige haben darauf gewettet, dass mit dem IDEE 146. Deutschen Derby diese Bilanz noch verbessert werden würde.
Hat 110 Rennpferde im Blick: Andreas Wöhler auf seiner Trainingsbahn in Spexard nahe Gütersloh. www.dequia.deVor zehn Tagen waren wir in Ravensberg. Doch in zehn Tagen kann im Rennsport viel passieren, zumal wenn es die zehn Tage vor dem „verrücktesten Rennen des Jahres“ sind. Das gilt noch mehr, wenn es um einen der tonangebenden Trainer hierzulande geht, der mehr als 110 Pferde im Stall hat, darunter die beiden Favoriten für das Rennen, in dem – so die Idee - die besten Dreijährigen ihre Kräfte messen sollen. Die logische Derby-Geschichte spielte deshalb in Spexard in der Nähe von Gütersloh, auf der mehr als 100 Jahre alten Anlage des Gestüts Ravensberg mit eigener Trainingsbahn, in der seit 2004 die Andreas Wöhler Trainingszentrale GmbH zuhause ist. Das gilt selbst dann, wenn die beiden Favoriten nicht laufen. So wie es jetzt mit Quasillo und Karpino geschieht. Beide sind gestrichen, der eine laboriert an einer Hufverletzung, der andere verletzte sich im Training. Und das am Tag des letzten Streichungstermins, am Montag vor dem Derby.
Quasillo mit Eduardo Pedroza beim Sieg Bavarian Classic. www.galoppfoto.de - Frank Sorge... und in seiner Box in Ravensberg. www.dequia.deBei unserem Besuch Anfang vergangener Woche standen wir mit dem Trainer vor der Box von Quasillo, von dem wir nur das Hinterteil zu sehen bekamen, weil das Interesse des Sea The Stars-Sohnes ganz eindeutig eher der gut gefüllten Futterkrippe als uns galt. Zwei Rennen hat der Fährhofer bis dato gewonnen, im ersten, dem Otto Gervai-Rennen in München den jetzigen Derby-Favoriten Shimrano leicht bezwungen, im zweiten, den Bavarian Classic auf Gr. III-Parkett, stand das „überlegen“ im Richterspruch gegen weitere Pferde, die am Sonntag im Kampf um das „Blaue Band“ antreten, dafür wurde er mit einem GAG 95,5 Kg auf Position 2 der Derbykandidaten gesetzt. Doch eine Hufprellung verhinderte den Derbystart, eine Meldung, die von Trainer- und Besitzerseite schon sehr frühzeitig veröffentlicht wurde, eine Transparenz in der Öffentlichkeitsarbeit, bei dem man sich die großen Rennställe im Ausland durchaus zum Vorbild nehme, so Wöhler, dessen Webseite www.rennstall-woehler.de sicher zu den informativsten gehört, die der deutsche Galopprennsport zu bieten hat.
Galt als Nummer für das IDEE 146. Deutsche Derby: Karpino mit Oisin Murphy und seinem Besitzer Scheich Fahad Al Thani nach dem Sieg im Mehl-Mülhens-Rennen. Foto: Dr. Jens FuchsSo ein Ausfall fällt sicher leichter, wenn der „Ersatz“ Karpino wenige Boxen weiter steht und ebenfalls einen gehörigen Fährhof-Anteil hat. Das Traditionsgestüt in Sottrum bei Bremen ist der Züchter, hat den Cape Cross-Sohn nach seinem Maidensieg an Scheich Fahad al Thanis Qatar Racing Ltd. verkauft, in dessen Farben gewann er das Dr. Busch-Memorial (Gr. III) und das 30. Mehl-Mülhens-Rennen gewann. Der Lohn: Ein GAG von 98,5 Kg. Karpino sei, so der Trainer vor zehn Tagen, zu Recht die Nummer 1. Schließlich habe er nichts verkehrt gemacht. Bei allen Starts gewonnen. Wen er im Duell der Beiden denn vorne gesehen hätte? Auf diese Frage gibt es die diplomatische Wöhler-Antwort: „Was soll ich dazu sagen? Ich hoffe, dass sich die Gelegenheit dazu noch ergibt.“ Hier geht es zum Video: Klick!
Diese Antwort gilt wohl auch noch zehn Tage später nach dem Karpino-Ausfall fürs Derby. Zwar gibt es noch immer keine öffentliche Verlautbarung über die Art der Verletzung („das geben wir bekannt, wenn wir mehr wissen“), aber sie sei nicht so schwerwiegend, dass er nicht in diesem Jahr wieder laufen könne, „nur für das Derby hat es leider nicht gepasst“, heißt es am gestrigen Mittwoch aus dem Wöhler-Stall. Der zweite Ausfall eines Favoriten für das Derby innerhalb weniger Tage, was für eine bittere Pille. Das Königsee-Derbyfoto 1975: Andreas Wöhler mit Helmut Schmidt und seinen ... rennstall-woehler.de„Wenn man über 100 Pferde im Stall hat, dann kann immer etwas passieren“, heißt es vom Trainer mit der Erkenntnis und der Erfahrung von 30 Jahren, seit er 1985 mit damals gerade mal 25 Jahren kurzfristig den Stall seines schwer erkrankten Vaters Adolf Wöhler hatte übernehmen müssen. Jüngst hat er mit Singing in Baden-Baden seinen 2.000 Sieger satteln können, ein weiterer Meilenstein in der Erfolgsgeschichte von Andreas Wöhler, der trotzdem tief stapelt: „Man muss in diesem Sport immer auch mit schlechten Nachrichten leben, egal welche Erfolge man auf der anderen Seite verbuchen kann!“ Das Fieber von Novellist, einen Tag vor dem Prix de l‘Arc de Triomphe vor zwei Jahren, steckt dem Trainer noch immer in den Knochen. Der Hengst agierte in großer Form, hatte zuvor mit 5 Längen Vorsprung in neuer Bahnrekordzeit die legendären King George VI and Queen Elizabeth Stakes gewonnen und galt als einer der Top-Favoriten für Longchamp. Aber statt eines Triumphzuges im Arc ging es zurück in die heimatliche Box, das Fieber auskurieren, und von da aus ohne einen weiteren Start nach Japan, wo Novellist jetzt als Deckhengst wirkt.
Das Griffelbein eines Melbourne Cup-Siegers: Nach einem Wildunfall musste Protectionist 2013 operiert werden. www.dequia.deEinen weiteren Beleg für die Unwägbarkeiten des Rennsports bekommen wir im Trainerbüro bei einer Tasse Kaffee zu sehen, ein knöchernes Gebilde vor die Nase gehalten, das in einer mit einer undefinierbaren Flüssigkeit aufgezogenen Spritze schwimmt: „Das ist das Griffelbein eines Melbourne-Cup-Siegers“, lautet dazu der knappe Kommentar, „das könnte man sicher auch beim Ebay verkaufen!“ Und schon erinnert man sich wieder an den Ausfall des Derby-Mitfavoriten Protectionist 2013 nach einem „Wildunfall“ beim Training, der zu eben der Operation geführt hat, die dem Trainer zu dieser ungewöhnlichen Devotionalie verholfen hat, was ihn nicht daran gehindert hat, am 04.11.2014 Geschichte zu schreiben und als erstes Pferd in der Geschichte des deutschen Rennsports den Melbourne-Cup zu gewinnen.
Das Highlight: Andreas Wöhler mit dem Melbourne Cup in der kleineren Trainer-Version und Protectionist. www.rennstall-woehler.deDas war ein großes Ding, das Highlight im Trainerleben von Andreas Wöhler, auch wenn der mit Pferden wie Paolini und Silvano schon frühzeitig große internationale Erfolge feiern konnte. Angefangen vom sorgfältig geplanten Comeback des Monsun-Sohnes nach zehnmonatiger Rennpause bis hin zu einem Australien-Trip, der alles bisher im Rennsport Erlebte getoppt hat.
Eine Foto-Collage mit allen Fotos rund um den Melbourne-Cup, die Trainerfrau Susanne Wöhler für ihren Mann zusammengestellt hat, nimmt im Büro einen Ehrenplatz ein, direkt daneben die Sammlung der Presseartikel von dem Rennen, das „Down under“ eine ganze Nation in Atem hält und entsprechend gewürdigt wird.
Eine „irre Geschichte“ sei das gewesen, ein „Once in a Lifetime“-Erlebnis. „Man muss Glück haben, das richtige Pferd, aber auch einen Plan“, heißt es in der Rückschau. Hier ist der Plan, der nach dem 2. Platz von Protectionist im Großen Preis der Badischen Unternehmer beim Trainer reifte, nach langen, akribischen Vorbereitungen aufgegangen. Dabei hat Protectionist auch bei diesem Abenteuer für die aufregenden Momente im Trainerleben gesorgt, hatte sich auf der weitläufigen Quarantäne-Station in Newmarket seines Reiters entledigt und steuerte in die Richtung einer vielbefahrenen Straße. Der Trainer sprintete trotz Knieverletzung hinterher, „so schnell bin ich in den letzten zehn Jahren nicht mehr gelaufen!“.
Die "rre Geschichte" in Melbourne ...: Protectionist sorgte für den ersten Sieg eines deutschen Pferdes im populärsten Rennen Australiens. Collage: www.rennstall-woehler.deDie Sache ging gut aus, „aber sicher ist man erst, wenn das Pferd wirklich in der Startbox steht“, so Susanne Wöhler, die das ganze Australien-Abenteuer in lesenswerten Geschichten und mit tollen Bildern auch für die Webseite aufbereitet hat, die ohnehin ihr „Baby“ ist. Sie sorgt für die stets aktuellen Vor- und Nachberichte, steht dafür frühmorgens mit auf der Bahn, um die aktuellen Trainingsbilder zu machen, die auch von den Besitzern als Service sehr geschätzt werden und auf der seperaten Foto-Webseite www.woehler-bildergalerie.de zu sehen sind. Denn viele bekommen die Pferde leibhaftig kaum zu sehen, besonders die ausländischen Besitzer, die dank der großen internationalen Erfolge im Rennstall Wöhler gut vertreten sind. Reiste zum Ausgleich II nach Dortmund an: Besitzer Jaber Abdullah (rechts), der allein bei Andreas Wöhler 30 Pferde im Training hat und sich auch über den Erfolg von Long Cross in Dortmund richtig freuen kann. Foto: Dr. Jes FuchsAllen voran Jaber Abdullah, Kaufmann aus Dubai, der gleich ein 30-köpfiges Lot im Training bei Wöhler hat. Der war vor einigen Tagen sogar persönlich da, hoher Besuch, der vom Trainer auf Weltbahnhof Gütersloh abgeholt wurde und sich tags drauf in Dortmund über einen Ausgleich II-Sieger freute und sich Zitronenkuchen beim Buchmacher schmecken ließ. Auch an diesem Morgen ist er am Telefon, hört den Satz, den Trainer und Besitzer am liebsten haben: „Everything is fine this morning!“
Im Trabring ganz brav, aber er kann auch anders: Fast Lightning, der Rekordjährling der BBAG-Auktion 2014, mit Jose Luis Silverio. www.dequia.deEin neues Lot macht sich auf den Weg. Diesmal ist der Trainer besonders gefordert, denn ein Zweijähriger tanzt aus der Reihe, nicht irgendeiner sondern der Topseller der letztjährigen BBAG-Jährlingsauktion namens Fast Lightning: „Wenn einer vor ihm zu langsam ist, dann springt der auf ihn drauf“, heißt es, „böse ist er nicht, aber frech!“. Deshalb bekommt der hoffnungsvolle Monsun-Sohn auch eine Sonderbehandlung, wird vom Trainer höchstpersönlich mit dem Zügel zur Bahn geführt. Eine Aktion, bei der sich Wöhler vor einigen Tagen sein frisch operiertes Knie verdreht hat und jetzt die Zähne zusammen beißt. Dafür zeigt sich der halbstarke Berglar-Hengst beim Galopp etwas friedlicher, „unterwegs ist alles gut“, meint auch sein Reiter Silverio. Der Wöhler-Stall ist für die Zukunft gut gerüstet, „wir haben viele Zweijährige, das sind mehr als die Hälfte der Pferde“, auch im Derby 2016 werden einige davon wieder zu den Hoffnungsträgern gehören.
Aber auch im Derby 2015 ist Andreas Wöhler nicht unbeschäftigt. Zwei Derbystarter verbleiben ihm noch: Fair Mountain und Rogue Runner, von dem er am besagten Montag vor zehn Tagen noch meinte, „den würde ich auf jeden Fall mal mit 5 Euro auf Sieg wetten!“. Die Chancen haben sich gewiss nicht verschlechtert. Ohnehin ist das Derby durch den Ausfall der beiden vermeintlich besten Pferde des Jahrgangs so offen wie nie, die Favoritenrolle geht logischerweise an den Union-SiegerShimrano, danach scheint alles möglich. Auch ein Wöhler-Sieg. Dreimal hat er das Derby schon gewinnen können: 1992 mit Pik König und William Newnes für den Rennstall Darboven, 1999 mit Belenus und Kevin Darley für das Turf-Syndikat 99 und 2011 mit Waldpark und Jozef Bojko für das Gestüt Ravensberg.
In Hamburg auf der Derby-Bahn: Trainer Andreas Wöhler und Ehefrau Susanne. www.galoppfoto.de - Sabine BroseEgal, wie es ausgeht. Andreas Wöhler hat schon konkrete Pläne für die Tage nach dem Derby, in denen der Sport eine kurze Pause einlegt. Eine der wenigen Gelegenheiten zum Atemholen in einem stressigen Job, in dem es bei einem Trainer wie Wöhler keinen Feierabend gibt. Ein Männertrip steht auf dem Programm, es geht zum Stierkampf nach Pamplona, und das nicht nur einfach so als Zuschauer. Mitlaufen wollen sie mit der aufgeheizten Menschmasse, als „Pacemaker“ für die freilaufenden Stiere, vom Gatter bis zur Arena. Das sind 800 Meter. Wenn das verfluchte Knie nicht wäre. Einen Plan gibt es nicht wirklich, hoffentlich aber genug rettende Hauseingänge auf dem Weg. „Wenn das auf seiner ‚To-Do-Liste‘ steht, dann soll er es machen“, meint Ehefrau Susanne lakonisch. Ihr Gegenüber zündet sich eine neue Zigarette an und schweigt grinsend. Der Rennsport spielt in diesen Tagen verrückt genug, da darf auch ein Trainer mal unvernünftig sein. „Once in a Lifetime“ ...