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Der ungewöhnliche Champion

Tertullian in seiner Box im Gestüt Erftmühle. www.dequia.de (Archiv) - Silvia Göldner

Autor: 

Daniel Delius

TurfTimes: 

Ausgabe 349 vom Donnerstag, 08.01.2015

Die Karriere eines Deckhengstes „unauffällig“ zu nennen, ist sicher anmassend oder fast schon abwertend, aber für Aufsehen hat Tertullian in seiner Zeit als Vererber eigentlich eher selten gesorgt. Die wenigen, eigentlich gar nicht merkbaren Standortwechsel waren kaum der Rede wert, die Decktaxe bewegte sich stets in gleichem Bereich, auf den Auktionen lösten seine Nachkommen bis auf eins, zwei Ausnahmen kein Feuerwerk aus. Und trotzdem kommt der Hengst in eher fortgeschrittenem Alter noch einmal zu Ruhm und Ehre: Tertullian ist 2014 Champion-Deckhengst in Deutschland geworden.

Einen Run auf den Hengst wird es im Gestüt Erftmühle kaum mehr geben, auch wenn er in der Vergangenheit regelmäßig solide unterstützt wurde. So stützt sich das Championat auch auf einen besonders starken Jahrgang, 2011 verzeichnet das Direktorium 57 lebende Nachkommen, mehr waren es zuvor und danach nicht. Und ob mit zwanzig Jahren noch der große Ansturm auf ihn einsetzt? Es bleibt abzuwarten, zu spät ist es aber nicht.

Tertullian war und ist, das zeigen auch die an dieser Stelle regelmäßig durchgeführten Umfragen, einer der unterschätzten Hengste des Landes, dies immer schon gewesen. Es fällt schwer, einen Grund dafür zu finden. Er ist ein Sohn der listenplatzierten Turbaine (Trempolino), die in den USA gezogen wurde, seinerzeit von Schlenderhan aus gutem Grund importiert wurden, denn sie ist eine Schwester der großen Urban Sea (Miswaki) und somit Tochter der Schlenderhanerin Allegretta (Lombard), womit über die Linie eigentlich alles gesagt ist.

Tertullian stammt wie Urban Sea von Miswaki (Mr. Prospector), er war damals der Erstling seiner Mutter, die in der Zucht auch noch den Gr. III-Sieger Terek (Irish River) gebracht hat, aber ansonsten wenig Glück hatte. Mit Tucana (Acatenango) ist sie Mutter von nur einer Stute, die hält mit ihren Nachkommen den Seitenzweig der Linie in Schlenderhan derzeit aufrecht, mit Titurel (Dr Fong) und Tahini (Medicean) hat sie bisher immerhin zwei bessere Hengste gebracht .

Als Tertullian 2002 im Heimatgestüt aufgestellt wurde, bezog zeitgleich sein naher Verwandter Galileo (Sadler's Wells) in Coolmore eine Deckhengstbox. Das Potenzial der Familie, was vor allem die Vererbungskraft anbetraf, lag also durchaus noch im Dunkeln, ein Sea The Stars (Cape Cross) war noch nicht einmal geboren. Tertullian hatte eine lange und durchaus erfolgreiche Rennkarriere hinter sich, die sich familienuntypisch, vor allem auf kurzen Distanzen abspielte. Zweijährig lief er noch für Heinz Jentzsch, später war Peter Schiergen sein Betreuer, Andreas Suborics und Filip Minarik waren seine Reiter bei den großen Erfolgen, einmal steuerte ihn interessanterweise auch Jean-Pierre Carvalho, das war bei einem Listensieg in München. Am Ende summierten sich zwölf Siege, fünf Gruppe-Rennen waren darunter wie der Prix de la Porte Maillot (Gr. III) und zweimal der Premio Chiusura (Gr. III). 1200 Meter waren für ihn fast ein Tick zu kurz, 1400 Meter waren nahezu ideal für ihn, der auch in besseren internationalen Rennen mehrfach in die Platzierung lief, einmal sogar in Singapur.

Schlenderhan hat ihn von Beginn an bestens unterstützt, auch wenn er in Bergheim natürlich schon etwas im Schatten von Monsun (Königsstuhl) stand. Seine ersten Jahrgänge waren quantitativ übersichtlich, die Zahl dreißig an Nachkommen wurde zunächst nie erreicht. Im zweiten Jahrgang hatte er mit Aviso, der das Mehl Mülhens-Rennen (Gr. II) gewann, bereits einen klassischen Sieger, auch Irian gewann dieses Rennen, Mawingo, der in Australien durch den Erfolg im Doomben Cup 2012 zu seinem bisher einzigen G. I-Sieger avancierte, sowie Russian Tango und Illo kamen hinzu, alles „longseller“, harte und lange auf der Rennbahn aktive Hengste, wie ihr Vater.

Irian zählt mit seinen Erfolgen in Hong Kong zu den gewinnreichsten Pferden aller Zeiten aus der deutschen Zucht. Tertullian-Nachkommen können jedoch nicht nur mit dem Prädikat „nachhaltig“ bezeichnet werden, sie sind auch frühreif, was sich gerade in den letzten beiden Rennjahren zeigte. Eric und Santa Lucia gewannen jeweils das hochdotierte BBAG-Auktionsrennen in Baden-Baden, was natürlich auch zu der prominenten Position ihres Vaters in der Statistik beitrug. 2013 und 2014 ist er logischerweise dann auch Champion der Väter der Zweijährigen gewonnen.

Champion mit 19 Jahren: Tertullian im Gestüt Erftmühle. www.dequia.de (Archiv) - Silvia GöldnerChampion mit 19 Jahren: Tertullian im Gestüt Erftmühle. www.dequia.de (Archiv) - Silvia GöldnerZu einem Ansturm auf dieTertullian-Jährlinge hat dies trotzdem nicht unbedingt geführt. Erst im letzten Jahr war das Interesse größer, zumal Schlenderhan einige Hengste aus auch noch erstklassigen Mutterlinien bei der BBAG auf den Markt schickte. So brachte ein Sohn aus der Ioannina von ihm 61.000 Euro, Mario Hofer trainiert ihn für Eckhard Sauren. 2009 hatte es in Iffezheim einmal einen erstaunlichen Zuschlag gegeben, als ein aus der Zucht von Wiesenhof-Bloodstock stammender Tertullian-Hengst aus der Birthday Night (Southern Halo), angeboten von Ronald Rauscher, 150.000 Euro erlöste. Angus Gold hatte für Shadwell damals den Vertreter des Hong Kong Jockey Clubs überboten. Beide lagen falsch: Das Pferd mit Namen Berwaaz lief – allerdings nicht mehr für Hamdan Al Maktoum – viermal, lag dabei im Ziel stets zwischen 64 und 103 Längen hinter dem Sieger. Ein Rekord eigener Art. Berwaaz‘ rechte Schwester Big Bertha war dagegen eine echte „Tertullian“: Zweijährig listenplatziert und Vierte auf Gr.-III-Ebene konnte sie später in ihrer Laufbahn auch in den USA und Kanada hervortun, war dort noch fünfjährig erfolgreich und ist inzwischen in der Zucht. Einen guten Preis gab es vor einigen Wochen auch für die Tertullian-Tochter Ninas Terz, die mit Listenplatzierungen in ihrem Rekord bei Arqana für 120.000 Euro an die Agentur Kern Lillingston verkauft wurde.

Es hat dem Vernehmen nach in der Vergangenheit Kaufangebote für Tertullian gegeben, Schlenderhan hat stets abgelehnt. Die großen Zuchten haben schon lange einen Bogen um ihn gemacht, das war im Nachhinein sicher ein Fehler. Der Hengst hat aus wenig viel gemacht, seine Nachkommen sind oft besser als die jeweiligen Mütter, ein Qualitätsnachweis. Auch 2015 wird er zu einer Decktaxe von 5.000 Euro im Gestüt Erftmühle decken, womit er sicher der preisgünstigste amtierende Champion in der internationalen Vollblutzucht ist.   

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