Die magische Acht
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TurfTimes:
Am 26. August 2012 stieg ein damals 27jähriger Brasilianer auf der Iffezheimer Rennbahn in den Sattel eines aus Schweden angereisten Fliegers namens Verde Mar, um in der 142. Goldene Peitsche sein Glück zu versuchen. Zu diesem Zeitpunkt war der Jockey nur denjenigen Insidern bekannt, die sich für den Turf in Südamerika und Singapur interessierten. Einen bleibenden Eindruck dürfte er bei seiner Stippvisite in Baden-Baden kaum auf das deutsche Publikum gemacht: Verde Mar wurde knapp vier Längen hinter dem holländischen Sensationssieger Ferro Sensation Sechster im 13köpfigen Starterfeld der bedeutendsten Sprintprüfung des deutschen Turfs.
In der Rückschau war es die einzige Möglichkeit, den mittlerweile zum Star der internationalen Jockey-Szene aufgestiegenen Joao Moreira auf einer deutschen Rennbahn in Aktion zu erleben. Der am Rande der brasilianischen Millionenstadt Curitiba in der südbrasilianischen Provinz Parana geborene Moreira hat einen langsamen und verschlungenen Weg in die Weltspitze genommen und erreicht dabei immer neue Höhen. Vorgezeichnet war dieser Weg für den aus sehr einfachen Verhältnissen stammenden Brasilianer nicht. Seine ersten Pferdekontakte als Reitender fanden im Alter von zehn Jahren statt, wobei bewusst auf die Formulierung „erstmals in den Sattel steigen“ verzichtet werden muss, da Moreira zu diesem Zeitpunkt sattellos mit Gleichaltrigen einfach um die Wette ritt. Daraus einen Beruf zu machen, stand zunächst nicht auf der Agenda des zusammen mit sieben Geschwistern frühzeitig vaterlos aufgewachsenen jungen Mannes.
Mit 14 Jahren sah er zum ersten Mal eine Startmaschine auf einer 400m-Trainingsbahn und sich aus der Startmaschine heraus katapultierende Vollblüter, die dort einen explosiven Start übten. Der junge Moreira, der zu diesem Zeitpunkt seine kurze Schulausbildung bereits beendet hatte und als Hilfsarbeiter in einer Holzfabrik jobbte, war fasziniert von der Dynamik der Vollblüter und setzte von Stund an alles daran, Jockey zu werden. Doch der Erfolg flog ihm nicht zu, insbesondere die Anfangszeit war von Rückschlägen gepflastert. Exemplarisch dafür ist sein erster Sieg im Sattel, den er zehn Wochen nach dem Beginn seiner Jockey-Karriere erzielte. Die Freude währte nur kurz, er wurde wegen Behinderung eines Konkurrenten disqualifiziert und verlor den Sieg schnell wieder am grünen Tisch.
Ärger mit der Rennleitung, aber auch mit Trainern und Besitzern, die dem eigensinnigen Moreira ein ums andere Mal vorwarfen, sich nicht an die abgesprochene Reitorder zu halten, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Anfangsjahre, doch bewies er Stehvermögen und ließ sich nicht beirren. Langsam nahmen auch die Erfolge zu. Mitte der ersten Dekade dieses Jahrhunderts hatte er sich in der Spitzengruppe der brasilianischen Jockey-Szene etabliert. In 2006 gelang ihm der erste Gr I Erfolg im Gran Premio Nacional, im gleichen Jahr beherrschte er die Schlagzeilen nach einer achtfachen Siegesserie an einem einzigen Renntag auf dem Hippodrom in Sao Paulo. Zweimal hintereinander wurde er mit der „Trofeo Mossoro“, der brasilianischen Variante der Eclipse Awards, als bester Jockey in Brasilien ausgezeichnet.
In 2009 fasste er den Entschluss, dass es Zeit für einen internationalen Wechsel sei. Ein erster Versuch, als Jockey außerhalb Südamerikas Fuß zu fassen, war 2005 in Frankreich gescheitert. Kein einziger Sieg sprang für ihn bei 18 Ritten zwischen August und Oktober auf etlichen französischen Rennbahnen heraus, so dass er nach Brasilien zurückkehrte. Chancen auf Ritte hatte ihm vor allem der später durch den Dubai World Cup Erfolg mit Gloria de Campeao bekannt gewordene schwedische Besitzer Stefan Friborg auf seinen Pferden gegeben. Friborg kannte Moreira aus Brasilien, da er über Jahre hinweg seine Vollblutaktivitäten parallel mit Trainingsquartieren in Brasilien und Frankreich betrieb, wofür besagter Gloria de Campeao das Vorzeigebeispiel ist: Der später von Trainer Pascal Bary zum Triumphator in Singapur und Dubai geführte Hengst begann seine Karriere in Brasilien und wechselte erst als Vierjähriger nach Frankreich.
Moreiras zweiter Anlauf auf eine Jockey-Karriere außerhalb Südamerikas wurde dagegen ein voller Erfolg. Der Wechsel nach Singapur trug von Beginn an Früchte. Schon in seiner ersten Saison in Singapur endete er auf Rang 3 der dortigen Jockey-Championatsliste, bei der die Anzahl an Siegen das Kriterium für die Platzierung ist. Vermutlich hätte er bereits in diesem Jahr sein erstes Championat in Singapur feiern können, hätte sein Singapur-Engagement nicht erst zur Halbzeit der dortigen Saison begonnen. In den folgenden vier Jahren war ihm das Championat dann nicht mehr zu nehmen. In 2012 stellte er mit 212 Saisonsiegen zudem einen neuen Rekord für den Turf in Singapur auf. Findet sich in der Anfangszeit noch der Spitzname „Super Joe“ in den Berichten über Moreiras Rennbahnerfolge, so verdiente er sich später den Beinamen „Magic Man“. Magisch waren auch seine acht Siege bei acht Rennen im September 2013 auf der Rennbahn Kranji. Kurz nach diesem famosen Tag wechselte Moreira von Singapur nach Hong Kong, um eine weitere Sprosse auf der internationalen Karriereleiter zu erklimmen.
In Hong Kong wurde für ihn beileibe nicht der rote Teppich ausgerollt. Harte Konkurrenz war für den Neuling, der längere Zeit keine Rittangebote von den dominierenden Quartieren bekam, allerdings kein Hinderungsgrund, seine Erfolgsserie fortzusetzen. Ein Jahr nach seinem Wechsel wurde erstmals Jockey-Champion in Hong Kong, diesen Titel verteidigte er im Jahr danach und auch in dieser Saison dürfte ihm das Championat kaum noch zu nehmen sein. Jeder Championatsgewinn war mit einer neuen Rekordmarke für die Anzahl der Siege eines Jockeys in Hong Kong verbunden: Waren es in der Saison 2014/15 noch 145 Siege, mit denen er einen neuen Rekord markierte, so übertraf er diese Zahl in der Saison 2015/16 mit 168 Siegen bereits deutlich. Aktuell steht er bei 110 Siegen (54 Siege Vorsprung vor dem Zweitplatzierten Zac Purton) und die Saison ist noch lang, so dass ein erneuter Rekord durchaus möglich scheint, sofern er nicht zu häufig gesperrt wird. Moreiras Siegeswille nimmt gelegentlich nicht viel Rücksicht auf die Konkurrenten, so dass er an manchen Renntagen auf der Rennbahn nur Zuschauer sein kann, da die Rennleitung ihn regelmäßig wegen gefährlicher Reitweise an den Zaun stellt.
Am vergangenen Sonntag stand Moreira jedoch nicht am Zaun, sondern war Mittelpunkt des Geschehens auf der Rennbahn Sha Tin. Nachdem er bislang seine achtfachen Siegesserien an einem einzigen Renntag nur in seiner brasilianischen Heimat und in Singapur hatte feiern können, wiederholte er dieses Kunststück jetzt auch in Hong Kong, wo es eine solche Dominanz eines Jockeys an einem Renntag noch nie gegeben hatte. Zehn Ritte hatte Moreira am Sonntag, achtmal hatte er im Ziel die Nase vorn, darunter auch mit dem Exceed and Excel-Sohn Mr Stunning im mit gut 300.000 Euro höchstdotierten Rennen des Tages.
Die obligatorische Journalisten-Frage nach diesem denkwürdigen Tag, was das Geheimnis seines Erfolgs sei, beantwortete Moreira der South China Morning Post mit dem bescheidenen Hinweis, dass es einfach gewesen sei, da er gute Pferde geritten hätte und die ihn zu einem guten Jockey gemacht hätten. Ganz so simpel sehen es andere Beobachter des Turfs in Hong Kong nicht. Trainer John Moore, ein 66jähriger gebürtiger Australier, der als dienstältester Trainer seit 32 Jahren in Hong Kong stationiert ist und schon viele Jockeys hat kommen und gehen sehen, bescheinigt Moreira, dass er nicht nur reiterlich alle Qualitäten besitzt, sondern auch stets das richtige Gespür zeigt, wo er sich im Rennen aufhalten muss und an wem er sich orientieren kann. Von anderen werden zahlreiche Beispiele angeführt, dass Vollblüter, die erstmals von Moreira in einem Rennen geritten werden, eine deutliche Leistungssteigerung zeigen, er hole einfach mehr aus den Pferden heraus als andere Jockeys. Doch wirklich verstehen, warum dies geschieht, kann auch der lokale Trainer-Champion John Size nicht. Für ihn ist das Phänomen Moreira nicht greifbar, er fügt lapidar an, man müsse einfach auf Moreiras Statistik schauen, die sage doch alles.
Auch jenseits von Hong Kong und Singapur ist Moreira in den letzten Jahren immer stärker in den internationalen Fokus gerückt. Aktuell befindet er sich auf Platz 7 der weltweiten TRC Jockey-Rangliste. Dies stellt die höchste Platzierung dar, die er bislang in seiner Karriere innehatte, erst im letzten November schaffte er den Sprung in die Top Ten, wobei auch seine Erfolge in Australien und Dubai den Weg dorthin ebneten. Ob es für ihn noch weiter nach oben gehen wird, kann nur die Zukunft zeigen. Besucher der Iffezheimer Rennbahn im August 2012 hätten vielleicht doch besser die Kamera beim Jockey des Sechstplatzierten in der Goldenen Peitsche zücken sollen, um sich ein Foto für das eigene Erinnerungsalbum zu sichern. So schnell wird man Joao Moreira auf einer deutschen Rennbahn wohl nicht mehr bewundern können.
Der Hong Kong Jockey Club hat ein Video mit den acht Siegen veröffentlicht, das können Sie hier sehen: