TurfTimes:
Ausgabe 663 vom Freitag, 09.04.2021
Mit Richard Johnson hat am vergangenen Samstag einer der bekanntesten und profiliertesten Hindernisjockeys Englands seine Stiefel an den berühmten Nagel gehängt. Nach seinem Ritt auf Brother Tedd (Trainer Philip Hobbs), der ihn in einer Class 3 Handicap Chase in Newton Abbott auf einen dritten Platz trug, verkündete Johnson, unter Tränen und für viele Fans völlig unerwartet.“ Thats it for me“.
Richard Johnson wurde 1977 geboren, ein Bezug zum Rennsport wurde ihm quasi in die Wiege gelegt – seine Eltern hatten einen Bauernhof, und trainierten immer ein paar Pferde. Seine Karriere im Rennstall begann in der berühmten Talentschmiede von David Nicholson, einen der legendären Trainer der britischen Inseln, dessen Spitzname „The Duke“ noch heute einen besonderen Klang hat.
Seinen ersten Sieger ritt Johnson im Jahr 1994, damals als 7Pfund-Erlaubnisreiter. Es wurde der Grundstein zu einer der erfolgreichsten Jockey-Karrieren überhaupt; zum Ende seiner Laufbahn hatte er 3819 Siege in England und Irland er-ritten. Ob es in all den Jahren einmal Tage oder zumindest Stunden gegeben hat, in denen Johnson sich gewünscht hätte, zu einer anderen Zeit geboren worden zu sein? Es waren nicht nur die Trainer und Pferde, die seine Laufbahn formten, sondern vor allem ein anderer Jockey: Anthony „AP“ McCoy. Den größten Teil seines Reiterlebens verbrachte Johnson zeitgleich mit diesem ikonischen Reiter; es ist unleugbarer Teil jeder Statistik.
Es ist auch Beweis der übermenschlichen Charakterstärke, die diese beiden Ausnahmeathleten an den Tag legten, sich gegenseitig zu Höchstleistungen anspornten. Und es wäre absolut falsch zu schreiben, dass Johnson seine Karriere „im Schatten“ eines McCoy verbracht hätte. Einen weniger in sich ruhenden Menschen hätte es wohlmöglich gebrochen, doch Johnson ließ sich in all den Jahren niemals auch nur den kleinesten Frust anmerken. Neben McCoy, der in der Jockeystube tatsächlich zumeist sein Banknachbar war, formte er seine Karriere, deren oben genannte Siegzahl ihn eben zum zweiterfolgreichsten Jockey aller Zeiten machte. 20x war McCoy Champion Jockey, 16x davon Johnson sein unmittelbarer Verfolger. Mit 38, und direkt am Anschluß an den Ruhestand McCoys im Jahr 2015, wurde Johnson 2016 erstmalig selber Champion; der älteste „erstmalige“ in der Geschichte des britischen Hindernissports, der erste von insgesamt vier Titeln. Und, das sei an dieser Stelle erwähnt, der einsame „Brite“ zwischen allen „Iren“.
In seiner besten Saison ritt Johnson 236 Siege, während sich McCoy zu den magischen 300 quälen wollte. 22 Jahre verbachte Johnson als Stalljockey von Philip Hobbs, es war Johnson sehr wichtig, für ihn seinen letzten Ritt auszuführen. Seine beiden Cheltenham Gold Cup Sieger ritt er für anderen Trainer: Looks like Trouble im Jahr 2000 für Trainer Noel Chance, der heute sein Schwiegervater ist, und auf dem alten Haudegen Native River (Colin Tizzard), mit dem er 2018 punkten konnte und der in dieser Saison sein letzter Ritt in diesem Rennen war – „wenn es mit Native River noch einmal geklappt hätte, wäre vielleicht schon da Schluß gewesen“ sinnierte Johnson; eine spontane Entscheidung war der Schlußpunkt also nicht. Ein Grand National-Sieg fehlt in seinem CV, und es liegt sicher auch eine Lektion in der Tatsache, dass Johnson nur eine Woche vor diesem Monsterrennen, mit all seinen Unwägbarkeiten, für immer aus dem Sattel stieg.
Große Pferde begleiten den Weg von Richard Johnson; der bereits erwähnte Native River war sicher einer der allerbesten. Wie sein Reiter ein „Arbeiter“, nicht brillant, aber einer, der nie aufgab, mit Kämpferherz und unerschütterlichen Phlegma. In jungen Jahren ritt Johnson Pferde wie Flagship Uberalles und auch Gloria Victis, Rooster Booster, Escartefigue und auch Florida Pearl. In jüngeren Jahren waren es Pferde wie Captain Chris, Menorah oder Defi Du Seuil, die seinen Namen in die Schlagzeilen brachten. Seinen letzten Cheltenham-Sieger ritt er im Jahr 2018; die Probleme am Stall von Philip Hobbs hatten natürlich auch Auswirkungen auf seine Karriere. Loyal und stets (zumindest nach außen hin) gut gelaunt, ist sein Leben frei von Skandalen; „Wer ein schlechtes Wort über ihn zu sagen hätte, ist nicht ganz richtig im Kopf“ schrieb McCoy in einem eigens verfassten Rückblick in der Racing Post. Eine Biographie über Johnson („Out of the Shadow“) erschien bereits im Jahr 2002; kurz nachdem eine selbstredend sehr publikumswirksame Beziehung zu Zara Phillips (heute Tindall), Tochter von Prinzessin Anne und damit Enkelin der englischen Königin, in die Brüche gegangen war.
Johnson hat mit Ehefrau Fiona drei Kinder, lebt ländlich und ist mit allen Bereichen des Farmlebens vertraut. Sein Gold Cup Sieger Looks like Trouble verbrachte (und verbringt!) seinen Ruhestand bei ihm. Johnson ist als Züchter aktiv; will sich nun aber erst einmal der Familie widmen. Die letzten Worte soll AP McCoy haben:
„Manchmal lehren uns die das Beste, die uns am meisten herausfordern. Du hast beides für mich getan, und ich werde Dir immer dankbar sein. […] Wenn Du heute abend nach Hause gehst, schaue in den Spiegel, und Du wird einen Champion sehen. Genieße den Ruhestand.“
Catrin Nack