TurfTimes:
Ausgabe 601 vom Freitag, 17.01.2020
Man nehme einen Champion-Trainer, zwei Rennpferde, unkluge Äußerungen auf falschen Kanälen und viel Geld, und fertig ist das Thema, das den Rennsport in Großbritannien in der letzten Woche in Atem hielt. Was war passiert? Wenig. Und doch viel. Zentrum der Kontroverse war die Unibet Silviniaco Conti Chase, ein Gr.2-Rennen, welche am vergangenen Wochenende in Kempton ausgetragen wurde. Unter den genannten Startern befanden sich zwei Pferde aus dem Stall von Top-Trainer Nicky Henderson: Top Notch und Altior.
Letzterer eine Art Frankel des Hindernissports, seit seiner Niederlage im November 19 in einem Gr. 2-Jagdrennen in Ascot aber nicht mehr am Start. Ein Pferd, bei dem schon die Nennung für ein Rennen Top-News ist; und dessen Wohlbefinden bzw. Nicht-Wohlbefinden seit der schockierenden Niederlage immer eine Nachricht wert waren. Dessen nächster Start heiss ersehnt ist, und – ein entscheidender Faktor – dessen Start Henderson für den vergangenen Samstag öffentlich verkündet hatte: “The plan is very much to run“.
Am vergangenen Dienstag morgen war dann unübersehbar, dass viel Geld eben nicht auf Altior, sondern Hendersons anderen Starter Top Notch floss. Insidern war schnell klar, dass dies nur heißen konnte, dass Altior sein Engagement nicht wahrnehmen würde; eine entsprechende Nachricht aus dem Stall kam aber erst Stunden später. Verschlimmert wurde der Kommunikationsbruch durch die verwirrende Tatsache, dass Altior trotz gegenteiliger Beteuerungen zunächst nicht aus dem Rennen gestrichen wurde. Am Mittwoch schaltete sich dann zusätzlich die Aufsichtsbehörde des Rennsports, der BHA (British Horseracing Authority) ein; ein eigens entsandter Tierarzt untersuchte Altior auf seine Starttauglichkeit.
Am Donnerstag wurde er dann vom Rennen gestrichen. Pikant an der Geschichte auch, dass Unibet der Sponsor von Hendersons mächtigem Seven Barrows Rennstall ist, und dass Henderson Zweifel an Altiors Wohlbefinden erstmals in seinem Unibet-Blog äußerte. Er ist mitnichten der einzige Trainer oder Jockey, der eine enge wirtschaftliche Beziehung zu einem der großen Buchmacher hat. Der Fall wirft ein Licht auf diverse Ebenen des englischen Rennsports: Neben erwähnter Verflechtung von Top-Protagonisten steht vor allem die Integrität im Fokus. Logischerweise hat ein Rennstall Insider-Informationen, die den Individuen – und Personen, die ihnen nahestehen – einen entscheidenden Wissensvorsprung im ungemein konkurrierenden Ante-Post (Vorwett)-Markt verschaffen. Es ist nicht das erste Mal - und wird nicht das letzte Mal bleiben - dass interessierte Personen die Teilnahme eines Pferdes am aktuellen Wettkurs geradezu ablesen können. Und es ist vor allem nicht das erste Mal, dass dies ein Pferd aus dem Stall von Nicky Henderson betrifft.
Anders als in Deutschland ist die Buchmacher-Szene auf den Inseln natürlich ein riesiger Wirtschaftszweig, diverse große Konzerne kämpfen um Kunden. Auch wenn der Rennsport inzwischen nur einen Teil des bewettbaren Portfolios darstellt, so ist er nach wie vor eine bedeutende Einnahmequelle der Buchmacher, und hier vor allem im Ante-Post-Sektor. Die Implikationen von Insider-Informationen kann man sich leicht vorstellen; vor allem, da es über Wett-Börsen wie Betfair möglich ist, auf die Niederlage eines Pferdes zu wetten, sprich Wetten auf ein Pferd, das man sicher als Nichtstarter weiss, zu „halten“. Einige renommierte Journalisten auf der Insel behaupten gar, dass es dieses Leck im Stall von Henderson bereits seit Jahren gibt. Henderson selber sieht sich als Opfer der Umstände, er habe die relevanten Stellen umgehend und vollumfänglich informiert. Es ist Usus bei englischen Trainern, dass das Social-Media Verhalten der Angestellten im Arbeitsvertrag genau umschrieben ist, einige Trainer verbieten entsprechende Postings in den sozialen Netzwerken gar ganz. Nachrichten verbreiten sich in Windeseile; in Zeiten, in denen der Galopprennsport auch in England unter genauer Beobachtung der Tierschützer steht, kann er sich Skandale bezüglich der Glaubwürdigkeit gar nicht erlauben.
Auch wenn der vorliegende Fall weit davon entfernt war, ein „nationaler“ Skandal zu sein; seine Schatten treffen einen der renommiertesten Namen im englischen Sport. Da wurde es zur Nebensache, dass der hoch gewettete Top Notch seiner Favoritenrolle im Rennen nicht einmal gerecht werden konnte; in einem fünf-Pferde-Feld konnte er sich hinter einem wiedererstarkten Frodon (Paul Nicholls/Jockey Bryony Frost) und dem großen Außenseiter Keeper Hill gar nur auf Platz drei retten.
Catrin Nack