TurfTimes:
Ausgabe 465 vom Donnerstag, 27.04.2017
Während im europäischen Fußball die Champions League ohne deutsche Beteiligung in ihre entscheidende Phase eintritt, startet Europas Turf mit zweifacher deutscher Beteiligung in seine Champions League. Am Maifeiertag steht auf der Rennbahn Saint-Cloud mit dem Prix Ganay die erste Gruppe I Prüfung dieses Jahres auf dem Programm. Ob die beiden deutschen Vertreter, Potemkin aus dem Stall von Andreas Wöhler und Guignol aus dem Quartier von Jean-Pierre Carvalho, in die Fußstapfen des einzigen deutschen Siegers Pastorius in diesem Rennen werden treten können, erscheint angesichts der Konkurrenz eher zweifelhaft.
Am Tag vor der Jockeyangabe befanden sich noch acht Starter im Aufgebot, darunter der jüngst im Prix Harcourt siegreiche Cloth of Stars aus dem Fabre-Quartier und der nach seinem Dubai-Gastspiel jetzt auch in der französischen Heimat wieder ins Geschehen eingreifende Aga Khan-Vertreter Zarak. Die beiden vierjährigen Franzosen notieren derzeit bei den Buchmachern als Favoriten. Doch auch der Start der Deutschen steht nicht unter dem olympischen Motto „Dabeisein ist alles“, insbesondere dem im gemeinsamen Besitz von Klaus Allofs und dem Gestüt Fährhof stehenden Potemkin sind als Nummer Vier des Wettmarkts durchaus Chancen auf ein Platzgeld einzuräumen, Guignol rangiert bei den Buchmachern trotz seines Gruppe I Erfolgs im letzten November in München dagegen als klarer Außenseiter.
Der einleitende Vergleich zwischen europäischem Fußball und europäischem Turf ist in vielerlei Hinsicht nicht ganz glücklich. Wohl kein Fußball-Vermarkter käme auf die Idee, die Premiumveranstaltungen seines Sports unter einem so sperrigen und in der breiten Öffentlichkeit wenig beeindruckenden Begriff wie „Gruppe I Prüfungen“ zu vermarkten. Zudem ist im Fußball ein Ausscheidungssystem über mehrere Runden möglich, das automatisch zu einem echten Finale und entsprechender Spannung führt. Ein vergleichbares System lässt sich im Turf trotz entsprechender Versuche mit einem Punktevergabesystem nicht in sinnvoller Weise übernehmen. Es wird dabei bleiben, das im Turf über eine längere Zeitspanne auf unterschiedlichen Rennbahnen und über verschiedene Distanzen jeweils Top-Prüfungen gelaufen werden, ein echtes Finale kann es in einem solchen System nicht geben.
Welche Rennen zu diesem Reigen der europäischen Top-Prüfungen rechnen, liegt in der Entscheidung des European Pattern Committees und folgt einem ausgeklügelten Regelwerk, das auf die Qualität der in früheren Austragungen des Rennens gelaufenen Starter abhebt, die Dotierung allein ist nicht der Maßstab für die Einstufung als Gruppe I Prüfung. In diesem Jahr wird es zwischen dem Auftakt am 1. Mai in Saint-Cloud und dem Schlusspunkt am 1. November in München insgesamt 83 Gruppe I Rennen in Europa geben. Damit hat sich der leichte Abwärtstrend bei der Zahl der Top-Prüfungen auch in 2017 fortgesetzt. Vor zwei Jahren waren es noch 87 Rennen, im vergangenen Jahr rechneten 85 Rennen zur höchsten Kategorie. Grund für diese Entwicklung ist der Niedergang des Galoppsports in Italien, das in dieser Zeit fünf Gruppe I Rennen verlor.
Mittlerweile ist Italien nur noch mit einer einzigen Prüfung, dem ausschließlich Stuten vorbehaltenen Premio Lydia Tesio Ende Oktober in Rom, in dieser Kategorie vertreten. Damit ist die traditionell ungleichmäßige Verteilung der Gruppe I Rennen über die europäischen Turf-Nationen noch stärker auf England und Frankreich konzentriert. Von den 83 Rennen werden drei Viertel in diesen beiden Ländern ausgetragen (36 in England, 27 in Frankreich). Das restliche Viertel verteilt sich auf Irland (12), Deutschland (7) und Italien (1). Die deutsche Repräsentanz in der europäischen Gruppe 1 Saison ist seit 16 Jahren konstant, die letzte Änderung war die Höherstufung des damals noch in Mülheim gelaufenen Preises der Diana, der seit 2001 den Gruppe I Status hat.
Auffällig sind bei einer Analyse der Verteilung der Gruppe I Rennen innerhalb der Länder auf einzelne Rennbahnen die gravierenden Unterschiede zwischen den Nationen. Deutschland ist dabei das Land, das seine Top-Prüfungen nicht auf eine oder zwei Rennbahnen konzentriert, sondern sehr gleichmäßig verteilt. Sechs verschiedene Rennbahnen (München (2), Baden-Baden, Berlin, Düsseldorf, Hamburg und Köln) kommen in den Genuss, Austragungsort einer Gruppe I Prüfung zu sein.
Irland ist das andere Extrem, dort sind die 12 Top-Prüfungen auf zwei Rennbahnen (The Curragh (10), Leopardstown (2)) konzentriert. Auch Frankreich ist ein Beispiel für eine starke Konzentration der Premiumrennen auf wenige Rennbahnen. In normalen Jahren werden 16 der 27 Gruppe I Prüfungen auf der Nobelrennbahn Paris-Longchamp ausgetragen, der Rest verteilt sich auf Deauville (5), Chantilly (3) und Saint-Cloud (3). Durch die laufenden Umbauarbeiten in Paris sieht der Rennkalender in diesem Jahr allerdings anders aus, die 16 für Longchamp vorgesehenen Rennen werden auf die drei anderen schon mit Gruppe I Prüfungen bestückten Rennbahnen verteilt, so dass in 2017 Chantilly Austragungsort von 13, Deauville von 8 und Saint-Cloud von 6 der französischen Gruppe I Prüfungen ist.
England als Land mit den meisten Top-Prüfungen fährt eine gemischte Strategie. Zwar ist eine gewisse Fokussierung auf die beiden Rennbahnen in Ascot, auf der 13 Gruppe I Rennen beheimatet sind, und Newmarket (9) zu erkennen, doch sind auch noch sieben weitere Rennbahnen an der Gruppe I Saison beteiligt, so dass England nicht nur die meisten Gruppe I Rennen, sondern auch die meisten Austragungsorte im Vergleich zu den anderen Ländern stellt. Epsom, Goodwood und York beherbergen jeweils drei Gruppe I Prüfungen, Doncaster ist zweimal vertreten und Newbury, Haydock sowie Sandown finden sich einmal in der Liste.
Interessant ist auch eine detaillierte Betrachtung der Ausschreibungen dieser Gruppe von europäischen Premiumrennen. Rund 30 Prozent der Gruppe I Prüfungen sind Stuten vorbehalten. Im Turf zeigen die Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von Stuten im Rennstall bis in die höchste sportliche Kategorie hinein Früchte. Jahrgangsbeschränkungen gibt es ebenfalls bei etlichen Gruppe I Rennen. So sind 13 Prüfungen nur für Zweijährige offen, in zwei weiteren Sprintprüfungen über 1000m sind die Youngster zumindest startberechtigt.
Insgesamt 21 Rennen richten sich ausschließlich an den Derby-Jahrgang, darunter sind 15 klassische Rennen. Bei den Distanzen dominieren erwartungsgemäß Rennen über 2000-2400m, in diese Gruppe fallen allein 35 Rennen. Nur eine einstellige Zahl von Gruppe I Prüfungen richtet sich jeweils an die Kurz- und Langstreckenspezialisten. So befinden sich gerade einmal neun Sprintprüfungen und sechs Cup-Rennen über extreme Steherdistanzen unter den 83 Gruppe I Prüfungen. Gerade die letztgenannte Gruppe der Extremsteher-Prüfungen ist ein Sorgenkind des European Pattern Committees und soll bewusst gefördert werden. So ist mit dem Anfang August ausgetragenen Goodwood Cup der einzige diesjährige „Aufsteiger“ in die Gruppe der Top-Prüfungen ein über zwei Meilen führendes Rennen für die Extremsteher.
Nach all diesen statistischen Betrachtungen zur Gruppe I Saison 2017 haben wir auch für den Prix Ganay die Statistik befragt, um die Chancen des deutschen Hoffnungsträgers Potemkin zu beleuchten. Blickt man in die bis ins Jahr 1889 zurückreichende Vergangenheit des Rennens (vor fünf Jahren haben wir hier die Historie des Prix Ganay einmal genauer beleuchtet: klick), so sieht es für Potemkin nicht gut aus. In der jüngeren Vergangenheit war das französische Rennen eine Domäne der Vierjährigen.
Seit 2005, als der zuvor im Arc erfolgreiche Bago im Prix Ganay siegreich in seine Vierjährigen-Kampagne startete, konnten sich mit Ausnahme des unverwüstlichen Cirrus des Aigles hier nur Vierjährige durchsetzen. Cirrus des Aigles war bei seinem Erfolg im Jahr 2012 ohnehin der einzige sechsjährige Wallach, der es in die Annalen als Ganay-Sieger schaffte und somit das Vorbild für den deutschen sechsjährigen Wallach Potemkin darstellt. Selbst wenn man die sechsjährigen Hengste einbezieht, finden sich in der 127jährigen Geschichte nur sechs weitere Sieger, die es in diesem fortgeschrittenen Galopperalter zu einem Ganay-Erfolg brachten. Doch auch wenn die Statistik gegen Potemkin spricht, so werden Rennen stets auf der Rennbahn entschieden und nicht beim Durchstöbern der Annalen. Damit können wir den Bericht über den Auftakt zur europäischen Champions League des Turfs auch mit einem Fußballzitat, das dem ehemaligen BVB Dortmund-Kapitän und deutschen Nationalspieler Alfred Preißler zugeschrieben wird, enden lassen, „Grau ist alle Theorie – entscheidend iss auf´m Platz“. Tauscht man „Platz“ durch „Bahn“ aus, so passt dies auch zum Rennsport.