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Sir Henry Cecil 1943 - 2013
von Catrin Nack
Quelle: Turf-Times vom 14.06.2013
Auf den Tag genau eine Woche vor Beginn des königlichen Meetings von Ascot, dem er wie kein anderer Trainer seinen Stempel aufdrückte, erlag Sir Henry Richard Amherst Cecil seinem schweren Krebsleiden, welches 2006 erstmals diagnostiziert wurde. Mit Cecil starb nicht nur einer der legendärsten Trainer der britischen Insel überhaupt, sondern auch eine wahrhaft schillernde Persönlichkeit des Sports; verehrt und geliebt von seinen zahllosen Fans. Die Lücke, die er hinterlässt, wird nicht zu schließen sein.
Cecil wurde am 11.01.1943 in Aberdeen/Schottland zusammen mit seinem zehn Minuten jüngeren Zwillingsbruder David geboren (es gibt noch zwei ältere Brüder) und lernte seinen Vater niemals kennen. Auch ein Henry Cecil, Bruder eines Lords, starb dieser einige Wochen vor Cecils Geburt im Afrika-Feldzug. Zusammen mit ihren nun vier Söhnen suchte seine Mutter Rohays Zuflucht vor dem Krieg auf einem Gestüt der Familie bei Newmarket. Rohays war eine geborene Burnett, deren eigene Familie bis auf den legendären Schotten Robert The Bruce zurückzuverfolgen ist; ein Vorfahre dieser Seite der Familie heirate Cornelia Vanderbilt, eine Ur-Großmutter war eine von sieben Schwestern, nach denen die „Seven Sisters Road“ in London benannt wurde. Die Flagge, die nach Gruppe-Siegen über Warren Place gehisst wurde, und nun nach Cecils Tod auf Halbmast weht, zeigte das Familienwappen der Burnetts.
Hier nahm nun Cecils Leben jene Wende, die sein Leben bestimmen und prägen sollte, als nämlich seine Mutter 1944 den begehrtesten Junggesellen Newmarkets, den 30 Jahren älteren Captain Cecil Boyd-Rochfort heiratete. (aus der Ehe gibt es einen Halbbruder Cecils, Arthur Boyd-Rochfort, dem bis 1978 das bekannte irische Tally-Ho Stud gehörte.) CBR, seines Zeichens königlicher Trainer und fünffacher Champion, ließ Henry und David im Stall mitarbeiten, und wenn er auch aufgrund des Alters weniger eine Vaterfigur wurde als vielmehr wie ein entfernter Onkel auftrat, so erhielt Cecil hier die Grundlagen seiner späteren Standards. Es dauert allerdings einige Jahre, ehe sowohl David als auch Henry der Verlockung der Rennbahnen wirklich erlagen, in seiner Jugend hatten beide einen durchaus einschlägigen Ruf.
Nach einer formellen Ausbildung am Agriculture College und einigen Praktika, u.a. in Amerika, wurde Cecil dann Assistent seines Stiefvaters in dessen Freemason Lodge Stable (hier trainiert heute Sir Michael Stoute). Bereits 1966 hatte Cecil mit Julie Murless die Tochter keines geringeren als Sir Noel Murless geheiratet, einem wohlmöglich noch größeren Trainer als CBR, neunmaliger Champion mit 18 englischen Klassischen Siegern, der vom Warren Place aus trainierte. So entstand also Cecils eigene Verbindung zu dieser legendären Trainingsanlage, die er seinem Schwiegervater im Jahr 1976 abkaufte. Nachdem CBR 1968 offiziell in den Ruhestand trat, übernahm Cecil zusammen mit Julie zum Jahresbeginn 1969 zunächst Freemason Lodge, musste sich dann aber erst einmal verkleinern und trainierte einige Jahre aus den Marriott Stables an der Hamilton Road. Cecil brauchte einige Zeit, bis der erste Sieger in seinem Namen die Ziellinie überquerte, es war schon Mitte Mai, als ein Pferd namens Celestial Cloud in Ripon gewann. Aber das so wichtige "große" Pferd war auch in der "Erbmasse" seines Stiefvaters, der mächtige Wolver Hollow gewann, mit keinem geringeren als Lester Piggott im Sattel, die Eclipse Stakes in Sandown, gegen eine für unschlagbar gehaltene Park Top; ein so wichtiger Gruppe I-Sieger gleich im ersten Jahr des Trainierens. Cecil gewann die Eclipse Stakes noch drei weitere Male mit Wollow, einem Sohn von Wolver Hollow, Gunner B und Twice Over, erlebte hier aber auch mit Reference Point, Indian Skimmer und der großen Bosra Sham sehr bittere Niederlagen.
Zwangsläufig kann man die Erfolge Cecils hier nur anreißen, muss diese einzigartige Trainerlaufbahn reduzieren auf Zahlen, und diese Zahlen sind atemberaubend in der Tiefe der Erfolge, über einen so langen Zeitraum: Henry Cecil trainierte zeitlebens 3.431 Sieger weltweit, davon 418 Pattern-Sieger (Gruppe- und Listenrennen), er trainierte die unglaubliche Anzahl von 75 (!) Royal Ascot Siegern, von 25 klassischen Rennen in England (vier Derby-Sieger, acht Oaks Siegerinnen, sechs 1000 Guineas Siegerinnen, drei 2000 Guineas Sieger, vier St. Leger Sieger; sein erster klassischer Sieger kam 1973 in den Irish 1000 Guineas) und war zehnmal Champion Trainer.
Die heutige Rennsport-Generation wird Cecils Namen für immer mit Frankel verbinden, gestandene Rennbahnbesucher aber erinnern sich an die eisenharte Oh So Sharp, die 1995 die Stuten-Triple Crown gewann und eine der beste Stuten war, die Cecil je trainierte, sie bekommen leuchtende Augen bei Namen wie Slip Anchor, Gunner B, Indian Skimmer, Bosra Sham, One in A Million, dem wunderbaren Steher Ardross, dem genialen Meiler Kris, Reference Point, Le Moss, Buckskin, dessen gläserne Beine Cecil vor besondere Herausforderungen stellte. Nachdem Cecil im Gold Cup 1979 sowohl Le Moss als auch Buckskin sattelte, für unterschiedliche Besitzer satteln musste, erlebte er – trotz Sieg - eine der schwärzesten Stunden seiner Laufbahn, als er mit ansehen musste, wie Le Moss Buckskin vernichtend schlug. "Ich fühlte mich wie Judas", bekannte Cecil in seiner Autobiographie, und er entschuldige sich - der Legende nach unter Tränen - zuerst bei Buckskin, ehe er zu Le Moss eilte.
Nicht zu vergessen Diminuendo, Snow Bride, Commander in Chief, Old Vic, King's Theatre, Salse, und dies ist nur eine kleine Auswahl aus der schier unendlichen Liste der großen Sieger, die Cecil in seinem Leben formte. Handicaps waren seine Sache nicht – und auch nicht die seiner Besitzer, die bis Mitte der 80er Jahre jene heute fast schon altmodisch anmutenden Besitzer-Züchter waren: Er trainierte für legendäre Namen wie Louis Freedman, Charles St. George, Lord Howard de Walden, Lord Tavistock, Daniel Wildenstein; die Verbindung mit Scheich Mohammed in Pre-Godolphin-Zeiten war eine Quelle großer Erfolge, wurde dann zu einer Quelle seiner bittersten Stunden. Lester Piggott, Steve Cauthen, Joe Mercer, Greville Starkey, Kieren Fallon und Pat Eddery waren wohl die prominenten seiner Jockeys in jenen Jahren, den so reichen und vollen; spätere bekannte Trainer wie Luca Cumani, William Jarvis oder David Lanigan arbeiteten als seine Assistenten. Im Jahr 1979 hatten Warren Place eine Start-Sieg-Quote von 44,6%, und hielt eine Marke von immer über 30%, bis sein quälender Abstieg begann.
Es heißt, dass man die Menschen besonders ins Herz schließt, die fallen und trotzdem wieder aufstehen, und nach all den Jahren der Erfolge begann Cecils Fall 1990, als seine Affäre mit dem Stallmädchen Natalie Payne, 24 Jahre jünger als er, an die Öffentlichkeit gelangte. Hierüber zerbracht nicht nur seine Ehe (aus der Cecil einen Sohn und eine Tochter hat), was natürlich sein Privatleben nicht unerheblich belastete, es folgten einige alkoholbedingte Skandale, die großen Besitzer wandten sich ab, die Pferde liefen langsam, wurden dann weniger, das Stallpersonal murrte über den zunehmenden Einfluss von Natalie, nunmehr Mrs. Cecil, und verließen Cecil. 1995 zog Scheich Mohammed nach einigen demütigenden öffentlichen Aussagen alle seine Pferde ab, im Jahr 2000 verlor Zwillingsbruder David den Kampf gegen den Krebs, beide hatten immer ein sehr enges Verhältnis gehabt. Cecil schien geschlagen, am Boden. 2005 zerbrach auch die zweite Ehe unter extrem unwürdigen Umständen, aber Cecil war schon zu tief gefallen, um noch weiter zu sinken. 2002 hatte es nur einen einzigen Gruppe-Sieg für Warren Place gegeben, dann unglaubliche drei Jahre nicht einen einzigen, 2006 konnten zwei Gruppe-Rennen in Frankreich gewonnen werden, zwischen den Jahren 2000-2006 trainierte man nicht einen einzigen Gruppe 1-Sieger. Dann die Krebs-Diagnose.
Doch nun begann Cecil zu kämpfen. Mit einer neuen Frau an seiner Seite – seine dritte Ehefrau Jane McKeown war lange Zeit seine Sekretärin, sie selber kommt als Schwester der Trainer Richard und Rae Guest aus einer Rennsportfamilie – kam das Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten zurück, und mit den verbliebenen loyalen Besitzern, allen voran die Niarchos-Familie und natürlich Khalid Abdullahs Juddmonte Farm, begann der langsame, aber glorreiche Aufstieg zu alten Höhen, den die Stute Light Shift mit ihrem Sieg in den 2007 Epsom Oaks einleitete. Es begann, was man im englischen wohl als einen "new lease of life" bezeichnen würde.
Begleitet von einem Publikum, das sich mit seiner Zuneigung für Cecil nicht mehr zurückhielt, nahm Cecil diese Verehrung nun mit einer neuen Demut entgegen, stets ein Ohr für seine Fans, für die er auch sein Haus und seinen geliebten Rosen-Garten für Wohltätigkeitsveranstaltungen immer wieder öffnete. Mit bewundernswertem Gleichmut bot er seiner Krankheit die Stirn, und wenn auch die Beziehung zu den beiden Kindern aus erster Ehe schwierig blieb, so stand Sohn Jake aus der zweiten Ehe ihm nun ebenso zur Seite wie Lady Jane, Pfeiler, die er sicher dringend brauchte. 47 Gruppe Sieger trainierte Cecil nach Light Shift, davon nur 12 für andere Besitzer als Juddmonte; Trainer und Besitzer erreichten in den Jahren 2008-2012 nicht dagewesene Höhen mit Pferden wie Midday, Twice Over und natürlich allen voran und alles überschattend dem einmaligen Frankel, den Cecil ungeschlagen durch eine 14-Rennen-Laufbahn führte, über drei Jahre im Training. Es war sicher auch ein Stück weit Frankel, der Cecil am und im Leben hielt, und es war dieses Pferd, das Cecil eine beinahe mystischen Aura verlieh, sein Meisterwerk im Angesicht des Unausweichlichen. Wer die beiden zusammen gesehen hat, den muskelbepackten, vitalen, beinahe massigen Hengst mit seinem fragilen, von der schweren Krankheit gezeichneten Betreuer an seiner Seite, der wird diese Bilder nicht mehr vergessen.
Cecil hatte trotz seiner adligen Abstammung (erst 2011 erhielt er die Ritterschaft „Knighthood“ von Königin Elizabeth) immer Zeit für gerade die "normalen" Rennbahnbesucher, und schon Stunden nach dem Bekanntwerden seines Todes füllten sich Webseiten mit Anekdoten und persönlichen Erinnerungen seiner Fans. Auch wir können eine wunderbare Cecil-Story beisteuern, die uns nun eine kostbare Erinnerung ist: sie begann 2010, als wir nach einem Tag beim Ebor Meeting ins einige Meilen entfernte Helmsley fuhren. Auf der engen, gewundenen Landstraße hatten wir im Rückspiegel plötzlich einen riesigen Mercedes, der uns bis Helmsley praktisch an der Stoßstange klebte und den Schweiß auf die Stirn trieb. Erst an einer Ampel konnten wir erkennen, dass Henry Cecil am Steuer des Autos saß. Ein Jahr später - Sir Henry hatte gerade mit Twice Over und Midday die Erstplatzierten in den Juddmonte International gestellt - standen wir im notorischen Rückstau des Parkplatzes der Rennbahn York, auf dem Weg eben wieder nach Helmsley. Stehende Autos überall, und als wir bei heruntergelassener Scheibe gelangweilt aus dem Fenster guckten, wer stand genau neben uns? Sir Henry Cecil ! Einer eilig und schüchtern zugerufenen Gratulation folgt nun eine rund 20minütige, freimütige und kurzweilige Unterhaltung, über seine Pferde, seine Rosen, Frankel ("Mit ihm werde ich hier im nächsten Jahr die International gewinnen. Dieses Rennen liegt Mr. Abdullah so am Herzen. Heute war wunderbar, aber im nächsten Jahr bin ich hier mit Frankel. 2000m werden im nächsten Jahr kein Problem sein") und auch Deutschland. Cecil gewann 1992 den Prix Zino Davidoff mit Perpendicular; Gerhard Schöningh war sein Trauzeuge bei der dritten Hochzeit.
Wir versuchten, ihn vom Super-Handicap in Hoppegarten zu überzeugen, aber er hatte für diese Idee - trotz Schöningh - überhaupt gar nichts übrig und fand wenig positive Worte für Deutschland. Wir glauben nicht, dass er je eine deutsche Rennbahn betreten hat, er war aber mit Gerhard Schöningh einige Male zumindest auf der Badener Auktion. Immer wieder stellte Cecil sicher, dass unser Auto neben seinem blieb und stellte seinerseits angeregt Fragen. Dann erzählten wir ihm von der Fahrt aus dem Vorjahr, und das wir wieder auf dem Weg nach Helmsley wären. "Welchen Weg nehmt ihr?" fragte Cecil, um meine Antwort vom Tisch zu wischen. "Ich kennen einen besseren. Folgt mir!" Danach hielt Cecil uns nicht nur, als der Verkehr endlich floss, die ganze Zeit im Auge, warte an Ampeln am Seitenstreifen, sondern - es gibt kein anderes Wort - bretterte mit uns im Schlepptau durch schmale Gassen und alte Tore, jede Abkürzung nutzend in Rekord-Zeit zum Ziel, wo er uns mit Blinker und Armwinken den rechten Weg wies und davonbrauste. Bei Helmsley liegt das Familiengestüt der Cecils, Cliff Stud, wo auch Gestüt Röttgens Wild Coco einige Zeit verbrachte. Die Stute steuerte in den deutschen Farben zwei Gruppe-Siege für Warren Place bei.
Sir Henry Cecil lebte ein volles Leben, ein reiches in vielerlei Hinsicht. Er selber schrieb bereits 1983 eine recht humorvoll zu lesende, aber schmale Autobiographie; die kontroverse Biographie vom in England ebenfalls nicht unumstrittenen Brough Scott erschien trotz einiger Verzögerungen noch zu seinen Lebzeiten. Das Buch hat Cecil nicht glücklich gemacht und zu ernsthaften Verstimmungen mit dem Autor geführt. Er fühlte sich verraten und vorgeführt, zu langweilig das Bild, welches Scott von ihm zeichnete.
Man wird Cecil natürlich niemals als langweilig in Erinnerung behalten. Und die mächtige Sprache, die seine Pferde für ihn auf der Rennbahn sprachen, wird lange nachhallen.
von Catrin Nack
Nachtrag: Eine Nachfolge-Regel für Warren Place ist derzeit offen. Lady Jane Cecil hat eine zeitlich befristete Lizenz erhalten; Mike Marshall war nun sein letzter Assistenz-Trainer.
Hier ein sehenswertes Video über das Leben von Sir Henry Cecil: http://www.youtube.com/watch?v=jwYF84Sqiqs&sns=fb
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