Autor:
Alexandra Bresges-Jung
TurfTimes:
Ausgabe 165 vom Freitag, 20.05.2011
Alexandra Bresges-Jung, Gestüt Zoppenbroich. www.dequia.de... erinnert sich Alexandra Bresges-Jung, Gestütsleiterin in Zoppenbroich, gemeinsam mit ihren Schwestern auch Besitzerin des traditionsreichen Gestüts, das ihr Großvater Walther Bresges 1923 in Mönchengladbach gegründet hat. Und wer könnte so eine Geschichte über den einzigen Triple-Crown-Sieger des deutschen Turfs, über Königsstuhl also (alle Infos unter www.gestuet-zoppenbroich.de), besser schreiben, als jemand, der schon bei der Namensfindung mit dabei war? 1979 gewann er das Henckel-Rennen, so wie die 2000 Guineas, die am Sonntag als Mehl-Mülhens Rennen gelaufen werden, damals noch hießen. Der Auftakt der immer noch einmaligen Dreier-Serie zur Triple-Crown mit dem nachfolgenden Sieg im 110. Deutschen Derby und dem Erfolg im Lt. Leger.
Königsstuhl und Peter Alafi nach dem Henckel-Rennen, dem jetzigen Mehl-Mülhens-Rennen, 1979.: Foto Archiv Zoppenbroich www.gestuet-zoppenbroich.deErinnerung an Königsstuhl
von Alexandra Bresges-Jung
Spricht man über gute Pferde mit einem späten Geburtsdatum, fällt bestimmt sein Name: Königsstuhl, der am 17. Mai 1976 in Zoppenbroich geborene, immer noch einzige Triple-Crown-Sieger des deutschen Turfs. 35 Jahre wäre er nun alt. Mitte Juni eine Mutterstute noch decken zu lassen, hätten wir dazu heute noch den Mut ? Wohl eher nicht. Mein Vater dachte und handelte als „Owner-Breeder“, seine Töchter mögen vielleicht noch so fühlen – aber die Realität 2011 ist eine andere.
Um Königsstuhls Geschichte zu erzählen, muss ich auf die damals handelnden Personen – und Pferde – zunächst näher eingehen: Mein Vater Kurt Bresges: Ein großer Züchter und Kenner aller Blutlinien. Helmut Barten: Er kam 1973 vom Gestüt Röttgen als Gestütsmeister nach Zoppenbroich und war in seiner Röttgener Zeit als Hengstmeister u.a. für Dschingis Khan zuständig gewesen von dessen Vererber-Qualitäten er massiv überzeugt war.
Der Gestütsherr Walther Bresges mit seinem Gestütsmeister Heinrichs 1957 in Zoppenbroich.: Foto Archiv Zoppenbroich www.gestuet-zoppenbroich.deEine ähnlich hohe Meinung wie Herr Barten von Dschingis Khan hegte mein Vater indes von einer seiner Stute: Königskrönung. Diese war ein hervorragendes Rennpferd über extreme Steher-Distanzen gewesen. Als Mutterstute hatte sie allerdings einen bedeutenden Mangel: ihre Fohlen waren ausnahmslos zu groß. Was immer mein Vater auch anpaarte, die Fohlen wurden ungeschlachte Riesenrösser. Die Idee „groß + groß hebt sich vielleicht auf . . .“ gipfelte in der Paarung mit Ilix, der selber stattlich war. Das Ergebnis, ein gewisser „Königsschuss“ (geboren übrigens am 27.5. !!) war untrainierbar. Merke: ein Experiment bleibt eben ein Experiment.
Dies war also die Konstellation, als Herr Barten ins Spiel, respektive nach Zoppenbroich, kam. Den kleinen, abgedrehten Dschingis Khan hatte mein Vater bereits 1973 als Partner für Friedensbotschaft ausgesucht. Das Stutfohlen namens Friedrichsruh war ganz passabel ausgefallen (Ihr späterer Diana-Sieg war aber noch unvorhersehbar). Ich stelle mir also vor, wie die beiden Herren im Winter 1974, vielleicht wie üblich mit Trainer Sven von Mitzlaff, zusammen sitzen und den Deckplan beraten und wie Helmut Barten meinen Vater von der „Idee Dschingis Khan“ für seine hoch geschätzte „Problem-Stute“ Königskrönung überzeugt . . .
1975 wurde der Plan umgesetzt und ein Jahr später, am 17. Mai 1976 kam das Fohlen auf die Welt. Meine erste Erinnerung an Königsstuhl verbinde ich mit der Namensfindung. Namen suchen war für die ganze Familie immer sehr spannend und für die Geschwister mit einem eifersüchtigen Wettkampf verbunden. Ich erinnere mich genau an ein Mittagessen, bei dem Fohlennamen diskutiert wurden und meine Schwester Astrid den Namen „Königsstuhl“ vorschlug. Bis auf meinen Vater reagierten alle amüsiert bis entsetzt: Wie kann man ein Fohlen Königsstuhl nennen, wenn man einen Deckhengst namens Kaiserstuhl auf dem Gestüt stehen hat, der immerhin Sieger im Gr. Preis von Baden war und Zweiter im Deutschen Derby ??! Nur mein Vater konnte sich für den Vorschlag erwärmen: Der Fels auf Rügen . . . warum nicht. . . abgemacht . . . Astrid hatte gewonnen.
10 Jahre vor Königsstuhls Geburt Kurt,Clara und Hela Bresges 1966. Foto Archiv Gestüt Zoppenbroich www.gestuet-zoppenbroich.deDer Sommer 1977 war sehr trocken. Königsstuhl war ein Jährlingshengst geworden und hatte mit dem Wachstum so seine Probleme. Er stand vorne sehr steil und konnte auf dem festen Boden nur halbe Tage auf die Koppel gehen. Meine Schwester Anne-Claire, damals 14 Jahre alt, konnte den „Gemüts-Hengst“ ohne Probleme allein von der Herde weg und in den Stall führen und da ich mich längst mit ihm angefreundet hatte, saß ich viele Nachmittage lang auf seiner Krippe und erzählte ihm Geschichten, rupfte Gras für ihn und vertrieb uns beiden so die Zeit.
Als mein Vater irgendwann erwähnte, dass Königsstuhl zur Auktion nach Baden-Baden gehen solle, probte ich den Aufstand: Das konnte er einfach nicht tun, nicht Königsstuhl! Mein Vater hatte drei Töchter und Diskussionen über Pferdeverkäufe wurden erfahrungsgemäß am besten im Keim erstickt. So auch an diesem Tag. Ich bekam aber im Fall Königsstuhl doch meinen Willen, wenn auch auf wenig schmeichelhafte Art. Einige Wochen nach meiner Opposition erklärte mein Vater mir: „Übrigens Deinen Königsstuhl habe ich mir heute nochmal angeschaut. Mit dem blamieren wir uns in Baden-Baden. Den müssen wir erstmal behalten.“ Dicker Kuss!
In der Tat war die Entwicklung des Hengstes nicht gerade vorteilhaft verlaufen: Hoch aufgeschossen und schmal in der Brust, dabei immer noch ziemlich steil, wenig Hals aber ein mächtiger Kopf . . . nichts für „Fehler-Gucker“. Mich hatte Königsstuhl wohl eher mit seinen „inneren Werten“, seiner absoluten Liebenswürdigkeit und Kinder-Tauglichkeit „geblendet“.
An dieser Stelle sei ein Mann erwähnt, der für Königsstuhls Karriere – wenn auch im Verborgenen – überaus wichtig war: Gustav Opdenplatz. Er hat als Schmied immer wieder leicht korrigierend in Königsstuhls Stellungsfehler eingegriffen und er betreut auch heute noch die jungen Zoppenbroicher.
Im Oktober 1977 starb mein Vater völlig überraschend. Meine Mutter hatte seine Liebe für die Pferde geteilt, die Führung des Gestüts kam für sie aber absolut unvorbereitet. Zu unserem Glück konnte sie sich auf ihre Ratgeber blind verlassen: Helmut Barten im Gestüt und Sven von Mitzlaff im Rennstall. Und mit allen verbliebenen Jährlingen ging Königsstuhl Ende Oktober in den Olymp-Stall nach Köln.
Schon als Zweijähriger scheint Königsstuhl Herrn von Mitzlaff beeindruckt zu haben. Meine Mutter war in ihrer neuen Situation bemüht, die Anzahl der Pferde in Training abzubauen. Als sie Pferd für Pferd mit dem Trainer durch sprach, riet dieser dringend dazu Königsstuhl zu behalten. „Sicher mehr als nützlich“ war die Einstufung, die meine Mutter überzeugte.
Königsstuhl war das erste Pferd, dessen Karriere ich fast lückenlos verfolgt habe. Schaue ich heute auf seine Laufbahn, gibt es aber so manches Detail, das mich erstaunt. Der als so vorsichtig bekannte Sven von Mitzlaff ließ den "Mai-geborenen“ bereits im Juni 1978 im Versuchsrennen der Hengste über 1000 Meter debutieren. Ein zweiter Platz zu My Rocket war das Ergebnis. Im August konnte Königsstuhl dann in Gelsenkirchen über 1200 Meter sein Maiden-Rennen gewinnen. In diesem Zweijährigen-Rennen liefen 11 (!) Pferde.
Trotz des guten Karrierestarts scheint Königsstuhl aber doch noch nicht wirklich zur Spitzengruppe des Olymp-Stalls gehört zu haben. Die ungewöhnliche weitere Route führte über Neuss (2. zu Revlon Boy) und zweimal Frankfurt (Siege im Pr. d. Frankfurter Messe und im Blitz Tip – Pokal jeweils unter Franz Puchta) zu den damals noch als Henckel-Rennen gelaufenen 2000 Guineas. Dem ersten Teil der Triple-Crown.
Derbysieger Königsstuhl 1979. Foto: Archiv Gestüt ZoppenbroichIn unserer Familie reiste „man“ damals nicht mal eben für ein Rennen nach Frankfurt. Ich konnte meinen Patenonkel Gerd Vorster überreden, mich zum Preis der Frankfurter Messe dorthin zu fahren. Das dramatische Union-Rennen und die „Revanche“ in Hamburg gehören zu den wenigen Rennen von Königsstuhl, die ich nicht auf der Bahn gesehen habe. Den Derby-Sieg erlebte ich in Zoppenbroich gemeinsam mit meiner Großmutter vor dem Fernseher. (Für einen Derby-Start bekam man doch kein schulfrei!) Anschließend bekam Königskrönung Möhren aus dem großmütterlichen Garten.
Königsstuhl vor Windlauf und Blue Moon als souveräner St. Leger Sieger holt er sich die Triple-Crown.: Foto Archiv Zoppenbroich www.gestuet-zoppenbroich.de
Der einzige Start, bei dem Königsstuhl kein Geld verdiente, war der Grand Prix Prince Rose in Ostende. Eine ganz merkwürdige Kursführung, von der Tribüne weg dann eine enge Kurve und auf derselben Bahn wieder zurück zur Tribüne, waren für Ross und Reiter zu viel des Guten. Ein Tagesausflug, bei dem die Stimmung auf der Heimfahrt dann doch sehr gedrückt war, zumal Ausflüge ins Ausland damals ja nicht alltäglich waren und im Vorfeld lange diskutiert wurden.
Unvergesslich und sehr viel lustiger war die Reise mit Herrn von Mitzlaff, Peter Alafi und meiner ältesten Schwester, Andrea Troillet, nach Mailand zum Gran Premio di Milano (Gr.I), Königsstuhls letztem Start, den er mit 5 Längen überlegen gewann. Für mich war es meine erste Flugreise überhaupt und ich bekam tatsächlich extra frei in der Schule. Das war und blieb absolut einzigartig in der Familiengeschichte. Die „Coppa d'oro“ in Form einer goldenen Pferdestatuette steht heute auf meinem Schreibtisch.
Und der Deckhengst Königsstuhl ?
Gestütsmeister Thomas Grote hoch zu Ross ... Unterhaltungsprogramm für Königsstuhl. Foto Archiv ZoppenbroichDer war nicht mehr ganz so sanft wie der Jährling. Verglichen mit vielen anderen Deckhengsten war er ein Lamm, aber auf seine Krippe habe ich mich nicht mehr so oft gesetzt. Herrn Barten kroch zur Verblüffung vieler Besucher regelmäßig unter Königsstuhls Bauch durch um dessen tollen Charakter zu demonstrieren und Herrn Grote ritt ihn abends ohne Sattel durchs Gestüt „damit der Kerl mal was anderes sieht“.
Königsstuhls Sanftmut hatte aber auch eine Schattenseite. Seine Deck-Lust war nicht eben ausgeprägt und er forderte der gesamten Gestüts-Mannschaft jede Menge Geduld ab, bis er zur Sache kam. Darin – das wusste Herr Barten – war er übrigens seinem Vater Dschingis Khan ähnlich. Einmal weigerte er sich auch ganz, eine Stute zu decken. Alle „Überlistungstricks“ schlugen fehl. Der Besitzer musste die Stute austauschen. Königsstuhls „vornehme Zurückhaltung“ führte auch dazu, dass nie mehr als 40 Stuten angenommen wurden. Wenn die Saison dann gut lief, konnten noch einige wenige Stuten dazu kommen.
Königsstuhl hat alles erreicht
Königsstuhl auf der Koppel in Zoppenbroich. Foto: Archiv Zoppenbroich www.gestuet-zoppenbroich.de20 Starts, 11 Siege, siebenmal 2. , einmal 4., einziger Triple-Crown-Sieger, Champion-Deckhengst, Champion der Väter von Mutterstuten. Königsstuhl hat alles erreicht und vieles weiter vererbt. Über seinen besten Sohn Monsun und über viele seiner Töchter wird er hoffentlich noch viele Rennpferde-Generationen positiv beeinflussen. Königsstuhl ist der Beweis dafür, dass ein Klasse-Rennpferd neben Gesundheit und Talent vor allem mit Herz und Charakter ausgestattet sein muss. Exterieur und frühes Geburtsdatum zählen im Ziel gar nichts.
Und ich werde es jedem Königsstuhl- Enkel und Urenkel nachsehen, wenn er etwas steil gefesselt ist, solange er mich auf seiner Krippe sitzen lässt.
Und wer jetzt ankommt und sagt, "und wie war das mit dem Zielfoto im Union-Rennen" und dann die Geschichte mit dem blinkenden Fotokoffer im Führring... Bitte, die dürfen und sollen Sie gerne (unter Ihrem richtigen Namen) bei uns erzählen. Dafür gibt es unsere Kommentar-Funktion im Portal: hier klicken.