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Das Vermächtnis von Lord Oaksey

Coneygree holt sich den Cheltenham Gold Cup. Foto: LeeAnn Day-Whistler

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 359 vom Donnerstag, 19.03.2015

Wer sagt, es sei schwer, den Cheltenham Gold Cup zu gewinnen? Man nehme das Pferd mit der geringsten Erfahrung, wähle einen Jockey, der genaugenommen immer noch ein Erlaubnisreiter ist und der überhaupt zum ersten Mal in dieser prestigereichen Prüfung reitet, setze von der Spitze aus einen flotten Takt – und „drin das Ding“.  So oder ähnlich lautete das Erfolgsrezept für den jüngsten Sieger des Rennens, und wenn Coneygree dies nach Jahren zwar nicht war, so trat der achtjährige Wallach hier in genau seinem vierten Rennen über die großen Chase-Sprünge an und war de facto noch ein Novice.

Als solches hätte Coneygree auch in der RSA-Chase laufen können, dem „logischen“ Rennen des Festivals für junge Nachwuchs-Chaser, und Trainer Mark Bradstock hatte sich, zusammen mit Frau Sara, die Entscheidung nicht eben leicht gemacht. „Wir sind mehrfach die Bahn abgegangen und hatten ständigen Kontakt mit Simon Claisse (Cheltenhams Rennbahnverwalter). Es sollte Dienstag regnen, dann Mittwoch, dann gar nicht, dann heute. Zum Glück kam der Regen überhaupt. Er war eine große Hilfe für unser Pferd.“ So Bradstock. „Wir kennen unser Pferd am besten und wissen, was er kann. Wer weiß, wie es gegen Don Poli & Co am Mittwoch ausgesehen hätte?“ 

Immerhin 16 Pferde hatten sich am Freitag, den 13. März, zum alljährigen Höhepunkt des Festivals um 3:20 Uhr Ortszeit an der Startstelle eingefunden, angeführt vom Favoriten Silviniaco Conti aus dem Stall von Champion Trainer Paul Nicholls. Die Sieger der letzten beiden Austragungen, Lord Windermere und Bobs Worth, waren mit von der Partie, AP McCoy vertraute bei seinem letzten Ritt in diesem Rennen auf den Irish Hennessy Sieger Carlingford Lough, Willie Mullins hatte im Vorfeld äußerst positive Signale zu seinem Starter, dem erst sechsjährigen Djakadam, gesandt.  Zusammen mit dem englischen Hennessy-Sieger Many Clouds trat Coneygree als zweiter Favorit an, die große Bandbreite der Quoten offenbarte auch die großen Qualitätsunterschiede der Starter.

Und wie schon in der Champion- und World Hurdle sollte es auch im Gold Cup eine Wachablösung geben, die alte Garde beiseite gewischt von den jüngeren Beinen, im Falle von Coneygree dann auch mit den jungen Händen am Zügel.  Es war nicht nur  sein erster Ritt in einem Gold Cup, sondern in einem Grade I-Rennen überhaupt; nicht, dass man dem jungen Nico de Boinville eine Unsicherheit angemerkt hätte. De Boinville,  am Stall von Nicky Henderson  tätig und hier vor allem als Arbeitsreiter von Sprinter Sacre und Long Run zu einer gewissen Berühmtheit gekommen,  hat sich in den letzen Jahren aber auch auf der Rennbahn vermehrt einen Namen gemacht und so bereits im letzten Jahr seinen ersten Festival-Sieger (Whisper im Coral Cup) geritten.

Nach dem Sieg von Coneygree: Ein Menschenknäuel voller Freude - mittendrin Trainer Mark Bradstock und seine Frau Sara, die Tochter des Züchters Lord Oaksey, vorne der Sohn Alfie. Foto: LeeAnn Day-WhistlerNach dem Sieg von Coneygree: Ein Menschenknäuel voller Freude - mittendrin Trainer Mark Bradstock und seine Frau Sara, die Tochter des Züchters Lord Oaksey, vorne der Sohn Alfie. Foto: LeeAnn Day-WhistlerSeine Verbindung zum Bradstock-Stall hatte sich über Carruthers ergeben, dem älteren Halbbruder von Coneygree, mit dem Team Bradstock 2011 den Hennessy Gold Cup gewonnen hatte, seinerzeit noch mit Mattie Batchelor im Sattel. Seit 2012 ist de Boinville nun ständiger Reiter des alten Carruthers, und die Verwandtschaft  der Pferde ist nur ein kleines Detail der „Familiensache“ Bradstock, die das Herz der Geschichte um Coneygree bildet. Es war nämlich vor allem die eine Person, die nicht mehr anwesend sein konnte, aber dessen Namen gleichsam über Cheltenham zu schweben  schien: Lord Oaksey,  Züchter von sowohl Carruthers als auch Coneygree, und Vater von Bradstocks Frau Sara.

Geboren im Jahr 1929 als schlichter John Geoffrey Tristam Lawrence  in eine Familie von Richtern (sein Vater saß dem Kriegsverbrecher-Tribunal gegen die Nazi-Verbrecher von Nürnberg vor; selber bereits Lord Trevethin, wurde ihm der Titel Lord Oaksey für diese Tätigkeiten verlieren. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1971 erbte John dann beide Titel), hatte Lawrence trotz eines abgeschlossenen Jura-Studiums in Eton und Oxford früh andere Leidenschaften im Sinn und entschied sich für eine Karriere jenseits des Rechts; als hocherfolgreicher Amateur-Rennreiter, Journalist und Fernseh-Moderator war er Jahrzehnte eine immens bekannte und beliebte Figur im Rennsportzirkel, der es schaffte, direkt nach seinen Ritten in großen Rennen an den Schreibtisch zu eilen, um das eben erlebte flugs niederzuschreiben.

Zu zweifelhaftem Ruhm  kam er so auch durch seinen Ritt im Grand National 1963 auf Carrickbeg: „Ich ken' Dich", soll ihn über 15 Jahre späte einmal ein Wildfremder auf der Straße angesprochen habe, "Du warst der Typ, der vor seinem Pferd müde wurde", wie sich Lord Oaksey in seinen Memoiren mit einigem Schaudern erinnerte; Carrickbeg hatte noch über das letzte Hindernis geführt und wurde erst auf den allerletzen Metern von einem 670-10 Außenseiter abgefangen. Diese und viele anderen Anekdoten (Oaksey ritt u.a. den großen Taxidermist gegen Pferde wie Mandarin) hätten genügt, dass man sich Oakseys durchaus wohlwollend erinnert hätte, aber es war die Gründung des Injured Jockeys Fund (IJF) im Jahr 1964, die seinen Namen vollends unsterblich machen sollte.

Der IJF ist selbstredend eine der bedeutendsten Wohltätigkeits-Organisationen des Sports, die durch Verkäufe von Weihnachtskarten,  Kalendern & Co sowie durch Spenden Jahr für Jahr Millionen an Geldern einnimmt und natürlich zum Wohle verletzter oder älterer Jockeys und deren Angehörigen ausgibt. Der IJF, dem nun seit einigen Jahren John Francome vorsteht, hilft bei der Rehabilitation – ein mit allen nur erdenklichen Gerätschaften und entsprechendem Personal ausgestattetes Haus in Lambourn heißt zu Ehren des Gründers natürlich „Oaksey House“ – bei der Nachversorgung, aber gegebenfalls auch bei der Suche nach einer alternativen Karriere;  er stellt Wohnungen für Rentner, und organisiert Reisen für finanziell nicht so gut gestellte Ex-Reiter; kurz, es ist eine Organisation, die jedem Jockey mehr als nur am Herzen liegt. Nord-England bekommt nun endlich sein Äquivalent in Form des Jack-Berry-Hauses in Malton bei York. Paul Hanagan spendete seinerzeit im Titelkampf um sein zweites Jockey-Championat alle Einnahmen der letzten Wochen seiner Saison. Oaksey und seine Frau waren (und sind) unermüdlich, wenn es um das Sammeln von Spenden geht;  Lady Oaksey steht noch heute höchstpersönlich an den Verkaufstischen. 

Züchter wurde Lord Oaksey erst spät im Leben, 2003 mit der Geburt von Carruthers fing es an. Immens stolz, platzierte Oaksey gleich nach der Geburt eine Wette, dass dieses junge Wunderpferd entweder den Ascot oder Cheltenham Gold Cup gewinnen würden; 10 Pfund zum Kurs 1000:1 erhielt er, selbstredend zu Gunsten des IJF. „ Das Geld ist so gut wie in der Bank“ notierte er im gleichen Jahr, um denn den größten Erfolg dieses Pferdes im Jahr 2011 schon nicht mehr bewusst mitzuerleben; eine bereits 2003 diagnostizierte Alzheimer-Erkrankung hatte nach lange Jahren des Kampfs  2012 zu Oakseys Tod geführt.  „Es ist so immens schade, dass Saras Vater dies nicht mehr erleben kann“, bekannte Mark Bradstock nach dem Gold Cup „und die Wette, die Wette hatte er ja sozusagen auf das falsche Pferd.  Das ist alles sehr traurig.“ Sara Bradstock,  selbst einstmals Rennreiterin und nun durch eine Lungenerkrankung schwer gehandicapt, hatte zusammen mit Sohn Alfie, eine Nachwuchs-Vielseitigkeitsreiter,  die Vorbereitung Coneygrees  überwacht und wusste genau, wem zu danken war: "Dies ist alles passiert, weil mein Vater der Größte war. Daher kommt all unser Glück. Ein Märchen ist wahrgeworden."

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Tut sich schwer mit dem Abschied vom aktiven Sport: Hindernis-Jockeylegende AP McCoy im Interview mit Clare Balding. Foto: Lee Ann Day-WhistlerTut sich schwer mit dem Abschied vom aktiven Sport: Hindernis-Jockeylegende AP McCoy im Interview mit Clare Balding. Foto: Lee Ann Day-WhistlerKein Märchen wurde dagegen für AP McCoy wahr, der bei seinem allerletzten Cheltenham als aktiver Reiter über einen Sieg nicht hinauskam. Kurz schien er im letzten Rennen des Meetings, welches extra zu seinen Ehren umbenannte worden war, noch einmal alles Asse in der Hand zu haben, doch es sollte nicht sein. „Ich habe mir vorgenommen, dieses Cheltenham einfach nur zu genießen, da es ja nur so viel besser sein kann als nächstes Jahr. Ich war immer jemand, der nach vorne geschaut hat, niemals zurück. Aber nun werde auch jemand, der nur zurückschaut, da ich nichts mehr habe, worauf ich vorwärts blicken kann.“ So das bedrückende Fazit eines Mannes, der als Jockey alle Höhen und Tiefen des Sports ausgekostet hat. Können wir da wirklich glauben, dass Ende April alles vorbei sein soll?

Catrin Nack 

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