TurfTimes:
Ausgabe 159 vom Donnerstag, 07.04.2011
Eine mehr als außergewöhnliche Geschichte hat unser Mitarbeiter Josef Soppa recherchiert. Es geht um das Schicksal des einstigen Gruppe I-Siegers A Magicman im aktuell von Katastrophen betroffenen Japan.
Mit den Samurai war nicht zu spaßen. Dies gilt heutzutage noch genauso. Wer beim alljährlich Ende Juli stattfindenden „Soma Nomaoi“ in Japan während des feierlichen Festzugs der Samuraikrieger die Straße kreuzen will, hat Glück, wenn er lediglich angeschrien wird. Ebenso könnte er von einem Samurai umgeritten werden, um dieses respektlose Verhalten zu unterbinden. Diese Truppenparade mit rund 500 Kavalleristen ist Teil eines seit mehr als tausend Jahren veranstalteten, traditionellen Festivals. Während der dreitägigen Veranstaltung werden außerdem Pferderennen mit mittelalterlich gerüsteten Reitern, Scheingefechte und (Wild)pferdefangen mit bloßen Händen geboten – und mittendrin A Magicman. Wenn die Nachfahren der über ganz Japan verstreuten Samuraifamilien, sich jedes Jahr in Soma treffen, greifen sie für das ursprünglich als eine Art Manöver gedachte Festival auch auf die am Ort befindlichen ehemaligen Rennpferde zurück. In welchen der genannten Disziplinen A Magicman über die Jahre als Nebendarsteller eingesetzt wurde, ist nicht bekannt. Gesichert ist, dass sich nach den kleinen Männern in den weißen Hosen auch Samuraikrieger bei ihm in den Sattel schwangen.
Soma ist eine Küstenstadt in der japanischen Präfektur Fukushima. Und seit dem 11. März 2011 ist dort nichts mehr, wie es vorher einmal war. Laut japanischen Medien ist Soma eines der am stärksten von Erdbeben und Tsunami betroffenen Katastrophengebiete. Mit mindestens 7,30 Meter Höhe traf der Tsunami an dieser Stelle auf das Festland. Dazu liegt Soma 43 Kilometer nördlich des teilweise zerstörten Atomkraftwerks Fukushima.
Doch wie gelangte A Magicman nach Soma? A Magicman wurde 1992 von Monika König und Heinz Vögele vom vierfachen Gr. I-Sieger The Wonder (Wittgenstein) aus der nicht gelaufenen Ayanapa (Pharly) in Frankreich gezogen. Trainiert von Hartmut Steguweit gewann der Hengst fünf Gruppe-Rennen mit dem Prix de la Foret (Gr. I) in Longchamp als Krönung. In jenem Jahr 1996 war A Magicman mit einem GAG von 100,5 kg das am höchsten eingeschätzte ältere Pferd in Deutschland. Nach seinem größten Erfolg wechselte der Schwarzbraune in japanischen Besitz und bestritt seine letzten fünf Rennen für US-Trainer Ron McAnally. Beim einzigen Start 1997 als Fünfjähriger belegte A Magicman einen guten vierten Platz im Yasuda Kinen (Gr. I) über 1600 Meter in Tokio.
Klick zum Video
Als weitere Ausbeute kamen im Folgejahr eine Gr. II-Platzierung und ein Allowance-Sieg in USA hinzu. Die Schlussbilanz des Spitzenmeilers ergab sieben Siege und acht Platzierungen bei insgesamt 25 Starts.
1999 nahm A Magicman seine Deckhengsttätigkeit im Lex Stud in Japan auf, wie die Mehrzahl der führenden Gestüte auf der Insel Hokkaido im Norden des Landes gelegen. Er deckte 39 Stuten im ersten und 35 im zweiten Gestütsjahr, was man vor Jahrzehnten noch als volle Listen bezeichnet hätte. Sunday Silence und seine Söhne, Fuji Kiseki und Dance in the Dark etwa, setzten zu jener Zeit in Japan aber schon andere Maßstäbe, deckten um die 200 Stuten pro Jahr. Die Zahl der von A Magicman gedeckten Stuten nahm in den folgenden Jahren kontinuierlich ab, im Jahr 2004 waren es lediglich sechs. So wurde sehr früh der Stab über ihn gebrochen, denn er wurde anschließend im Lex Stud ausgemustert und in vorzeitigen Ruhestand versetzt. A Magicman hatte somit lediglich sechs Jahrgänge und 92 registrierte Fohlen. Nach aktuellem Stand, es sind immer noch Produkte von ihm auf der Bahn, zeugte A Magicman bei 75 Startern 37 individuelle Sieger von 131 Rennen. Seine Nachkommen waren bzw. sind zum weitaus größten Teil auf den, auf bescheidenerem Niveau stehenden, lokalen NAR-Rennbahnen unterwegs und erfolgreich. Die Durchführung von Pferderennen teilen sich in Japan zwei Verbände, mit separatem Regelwerk und eigenen Championaten, die Japan Racing Association (JRA) mit den renommierten Rennbahnen und die National Association of Racing (NAR), zuständig für die vorwiegend auf Sand gelaufenen Rennen auf regionaler Ebene. A Magicmans 2001 geborene Tochter Kamino Heart Song schaffte das Kunststück von drei- auf vierjährig zehn Rennen in Serie zu gewinnen. Schauplatz war der NAR-Kurs in Saga im äußersten Westen Japans, wo später noch ein weiterer Erfolg hinzukam. Sein mit Abstand gewinnreichster Nachkomme war Namura Columbus, der umgerechnet etwa 625.000 € verdiente. Die hohe Gewinnsumme des im Jahr 2000 geborenen Hengstes deutet schon an, dass die Mehrzahl seiner acht Siege bei 72 Starts auf Bahnen der JRA zustande kam, wo er auf der Flachen und über Sprünge punktete.
Es gibt in Japan eine Stiftung, die sich um verdiente Deckhengste, Zuchtstuten oder Rennpferde nach deren aktiver Zeit kümmert. Dies können Pferde sein, die entweder selbst Gruppe-Rennen gewonnen haben oder Nachkommen auf diesem Level haben. Die Stiftung wählt Pferde aus und gewährt Haltern, die diese Pferde aufnehmen, Unterstützung und Subventionen. A Magicman zählt zu diesen Auserwählten. So gelangte der Prix de la Foret-Sieger nach Soma, wo das beschauliche Leben nur durch das alljährlich stattfindende Samurai-Festival unterbrochen wurde.
Der Ort Soma im Nordosten Japans wurde durch das Erdbeben und den Tsunami verwüstet, dazu droht eine weitere Gefahr - radioaktive Strahlung. In dem unvorstellbaren Chaos wurde nach vermissten Menschen gesucht, doch auch die Pferde wurden nicht vergessen. Es gibt Webseiten, die über gerettete bzw. in Sicherheit befindliche Pferde berichten. A Magicman galt zwei Wochen lang als vermisst, dann berichtete eine dieser Internetseiten, dass er nach Nasu in der Präfektur Tochigi evakuiert worden sei. Dieser Ort liegt weiter südlich im Landesinnern. An seinem jetzigen Standort kann der Neunzehnjährige nicht bleiben, er ist dort nur vorübergehend. Leider geht aus den Berichten nicht hervor, ob man noch von „Hengst“ reden kann. A Magicman befindet sich aktuell in einer Stallanlage, die auch als Quarantänestation genutzt wird. Zur Quarantäne stand dort vor kurzem der Gr. I-Sieger Fine Grain (Fuji Kiseki), jetzt Deckhengst im Haras de Lonray, bevor er nach Frankreich ausgeführt wurde. Da sich einige Transporteure wegen möglicher Strahlenbelastung weigern Soma anzufahren, befinden sich immer noch viele Pferde dort. Diese werden aber von Einheimischen versorgt. A Magicman hat somit Glück, da zu sein, wo er jetzt ist.
Herzlicher Dank geht an dieser Stelle an Kazushi Ishida http://himawarikazushi.blogspot.com/ für seine Unterstützung bei der Erstellung dieses Artikels.