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In Lünzen schlägt das Vollblutherz zurzeit etwas schneller

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 710 vom Freitag, 18.03.2022

So fing 2015 alles an: Nikolas Schenke (links), Quinzieme Monarque und Thomas Witt vor den historischen Gestütsgebäuden. ©galoppfoto - Frank SorgeSo fing 2015 alles an: Nikolas Schenke (links), Quinzieme Monarque und Thomas Witt vor den historischen Gestütsgebäuden. ©galoppfoto - Frank SorgeWenn man durch die kleine Ortschaft Grauen kommt, ist man fast am Ziel. Auch, wenn der Frühling nah ist, noch ist der Morgen winterlich und die Fachwerkhäuser mit den typischen Pferdeköpfen an den Giebeln sind durch den Bodennebel nur unscharf zu erkennen. Der etwas unwirtliche Eindruck ändert sich spätestens mit zunehmender Helligkeit. Dann erlebt man eine typische norddeutsche Heidelandschaft zwischen Hamburg, Bremen und Soltau gelegen. Es geht an einer alten Wassermühle vorbei immer Richtung Schneverdingen, noch einmal links ab, dann tauchen erste Pferdekoppeln auf und ein Holzschild mit dem Namen „Gestüt Lünzen“. Auf diesen Weg haben sich in den letzten Wochen schon einige Pferdetransporter mit ihrer kostbaren vierbeinigen Fracht gemacht und viele werden noch folgen. Denn im Gestüt Lünzen sind neue Zeiten angebrochen: Mit Accon und Best Solution gibt es erstmals zwei Deckhengste und die erwarten Damenbesuch. 

Hat seine Präsidentensuite bezogen: Accon (Camelot) startet 2022 seine Deckhengstkarriere im Gestüt Lünzen. ©Dequia - Frauke DeliusHat seine Präsidentensuite bezogen: Accon (Camelot) startet 2022 seine Deckhengstkarriere im Gestüt Lünzen. ©Dequia - Frauke DeliusBest Solution mit Gestütsleiter Thomas Witt: War ider meistbeschäftige Deckhengst im letzten Jahr und wechselte 2022 ins Gestüt Lünzen. ©Dequia - Frauke DeliusBest Solution mit Gestütsleiter Thomas Witt: War ider meistbeschäftige Deckhengst im letzten Jahr und wechselte 2022 ins Gestüt Lünzen. ©Dequia - Frauke DeliusSeit 2015 gibt es das Gestüt Lünzen auf einer alten Hofstelle, die im 14.Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt wurde. Gegründet von Nikolas Schenke, der als Geschäftsführer fungiert, und dem Gestütsleiter Thomas Witt. Diese Namen sind den Insidern in der Vollblutszene schon länger ein Begriff, aber der neue, große Schritt ins Deckhengst-Geschäft bringt die beiden jungen Männer in die größere Öffentlichkeit. Im Jahr 2018 haben wir im Newsletter erstmals über das damals noch sehr junge Gestüt Lünzen berichtet (Klick zur Story!). „Jung“ ist das Gestüt immer noch. Die Entwicklung, die die Zuchtstätte in den letzten Jahren genommen hat, ist allerdings außergewöhnlich. Nicht nur nach deutschen Maßstäben, wo die Mühlen des Sports ja bekanntlich etwas langsamer mahlen.

Ein mehrseitiger Bericht im renommierten internationalen Galopp-Newsletter „EBN“ (European Bloodstock News), vom ebenso renommierten Racing Post - Zuchtexperten Martin Stevens verfasst, war der vorerst letzte Beweis, so es denn eines bedurfte, nachdem auch der RaceBets-Podcasts – schon zu Besuch war (hier zum Nachhören: Klick!) - sprechen jedenfalls dafür: In Lünzen schlägt das Vollblutherz zurzeit etwas schneller. 


Vieles hat sich verändert seit 2018. Die Rinderzucht, die damals noch ein Standbein des Betriebes war, ist verschwunden, Opfer des Erfolgs mit den Pferden. Nicht, dass Nikolas Schenke ganz ohne seine Kühe kann; für den Eigenbedarf werden nach wie vor einige Rinder gehalten, eine gar mit lebenslangem Wohnrecht. Auch Hühner gehören dazu. Der Hahn, der sich lautstark bemerkbar macht, heißt Caruso. Wie auch sonst. Die Kinderbücher von Petersson und Findus dienten als Vorlage für die Namensgebung. Denn die Familien sind gewachsen, Schenke ist Vater einer Tochter und eines Sohns, auch Thomas Witt hat einen Sohn. Räumliche Veränderungen haben sich ergeben. Witts Auszug auf einen eigenen Hof machte Platz für Julia Schenkes florierende Rechtsanwalts-Kanzlei, die nun einen Teil des historischen, liebevoll kernsanierten Kerngebäudes einnimmt, das dort schon seit dem 16. Jahrhundert steht und nach einem Brand 1790 wieder aufgebaut worden ist. 

Eigene Rennfarben für das Gestüt Lünzen zusammen mit Sascha Hartung: Power Jack gewinnt mit Wladimir Panov gewinnt den htp-Cup in Hannover für Red/Gold Racing. ©galoppfoto - Sabine BroseEigene Rennfarben für das Gestüt Lünzen zusammen mit Sascha Hartung: Power Jack gewinnt mit Wladimir Panov gewinnt den htp-Cup in Hannover für Red/Gold Racing. ©galoppfoto - Sabine BroseGesehen in Hamburg: Für das Gestüt Lünzen Nikolas Schenke und Thomas Witt, zusammen mit Sascha Hartung (von links) als Besitzer unter dem Namen Red/Gold Racing. ©galoppfoto - Frank SorgeGesehen in Hamburg: Für das Gestüt Lünzen Nikolas Schenke und Thomas Witt, zusammen mit Sascha Hartung (von links) als Besitzer unter dem Namen Red/Gold Racing. ©galoppfoto - Frank SorgeEigene Zuchtstuten gibt es nach wie vor; kein echtes Gestüt kann ohne sein. Es liegt in der Natur der Dinge, dass bei überschaubarem Bestand der große Crack noch geboren werden muss. Nun aber. Der Rennstall. Zusammen mit Sascha Hartung, Freund und Förderer der ersten Stunde, stehen unter „Gestüt Lünzen & Red/Gold Racing“ vier Pferde auf der Trainingsliste, zu gleichen Teilen über die Republik verteilt. Zwei Pferde sind in Hannover bei Bohumil Nedorostek im Training, zwei im weiter südlich gelegenen Iffezheim bei Carmen Bocskai. Crack ist natürlich Power Jack, ein Breeze-Up Kauf, der mit 79.5 Kilo GAG über anschauliches Können verfügt. 

Der Start ins Deckhengst-Geschäft

Und dann, die Schwergewichte eines jeden Gestüts, die Deckhengste. Was seinerzeit mit dem von Jens Hirschberger trainierten Derby-Vierten Quinzieme Monarque begann, hat eine erstaunliche Entwicklung genommen. Nachdem „Quinzie“, als eine Art Gefälligkeit für dessen Besitzerin aufgestellt, nach einem kurzen Gastspiel in die Warmblutzucht wechselte, stehen für 2022 zwei Beschäler ganz anderen Kalibers bereit. Neben dem zu gleichen Teilen im Besitz von Holger Renz, in dessen Farben der Camelot-Sohn seine Rennkarriere bestritt, und Gestüt Lünzen stehenden Accon ist es vor allem der Globetrotter Best Solution, dessen Aufstellung in der Lüneburger Heide für Aufsehen in der Szene gesorgt hat. Der Kodiac-Sohn, als Rennpferd dreifacher Gr. I-Sieger für das Godolphin-Imperium, war mit Beginn der Beschäler-Laufbahn im Jahr 2020 eine echte Bereicherung der hiesigen Deckhengst-Szene.  „Ich kann an dieser Stelle nur noch einmal betonen, dass nichts an Best Solution schwierig ist“ kommt Schenke Gerüchten zuvor. „Sicher, es wurde aus personellen Gründen auf Auenquelle schwierig, zwei Deckhengste zu halten. Und sicher, durch Thommy (Witt) haben wir einen besonders erfahrenen Pferde-Mann, der mehr als ein „normaler“ Hengstwärter ist.“  

Auf den BBAG-Auktionen präsent: Lünzens Gestütsleiter Thomas Witt mit einem Hengst von Camelot aus der Lady Marl 2019 bei der Jährlingsauktion. ©galoppfoto - Frank SorgeAuf den BBAG-Auktionen präsent: Lünzens Gestütsleiter Thomas Witt mit einem Hengst von Camelot aus der Lady Marl 2019 bei der Jährlingsauktion. ©galoppfoto - Frank SorgeEs ist diese Expertise, die von vornherein eine so wichtige Säule im Make-Up des Gestüts darstellte. Beides sind handfeste Typen, die zupacken können. In ihrer Vita gibt es viele Gemeinsamkeiten, aber auch Ergänzungen. Auch das Alter passt. Beide sind 40. Bei beiden gab es keinerlei familiäre Verbindungen zum Galopprennsport, aber durch Zufall sind beide schon als Kinder mit Pferden in Kontakt gekommen. „In meiner Gegend gab es einen Reiterhof und ich habe als Jugendlicher mit einem Isländer den Teutoburger Wald unsicher gemacht“, erinnert sich Thomas Witt an seine Anfänge, „nach der Schulzeit wollte ich unbedingt was Praktisches machen. Deshalb habe ich mich auf dem Fährhof beworben und hatte das Glück, dort meine Ausbildung machen zu können. Dass ich ausgerechnet Niko zuvorgekommen bin, wusste ich damals noch nicht.“ Nach der Ausbildung war Witt zunächst einige Zeit im Newsells Park Stud, danach führte in der Weg nach Amerika in die Flag Is Up Farm des legendären Monty Roberts. Dort erwarb den Titel „Master Instructor“, eine Ehre, die weltweit nur Wenigen und in Deutschland nur ihm zukommen. Deshalb kommt Witt auch mit den Pferden gut klar, die aus welchen Gründen aus immer als „Problempferde“ gelten, die mit Charakter, die Spätzünder, aber auch die Rekonvaleszenten. Dass er nicht im Rennstall gelandet ist, liegt in der Natur der Sache. „Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich dafür allein von meiner Statur her, nicht gemacht bin“, erklärt Witt lachend, „das Reiten überlasse ich deshalb unseren Angestellten“. 

Gründeten 2015 das Gestüt Lünzen bei Schneverdingen: Nikolas Schenke und Thomas Witt. ©Dequia - Frauke DeliusGründeten 2015 das Gestüt Lünzen bei Schneverdingen: Nikolas Schenke und Thomas Witt. ©Dequia - Frauke DeliusNikolas Schenke, in Norddeutschland in der Nähe des Gestüts Fährhof großgeworden, musste mit seiner Lehre dort etwas länger warten, weil Thomas Witt schneller war. Bei ihm steht noch ein Studium als Multimedia Designer im Lebenslauf, was für die Vermarktung eines Gestüts keine schlechte Voraussetzung ist. Danach sattelte er um, sammelte erste Erfahrungen im Newsells Park Stud, bevor er seine Lehre im Fährhof unter dem Gestütsleiter Herbert Kahrs startete und dort noch Acatenango in seinen letzten Jahren erlebte. Die beiden jetzigen Kompagnons kannten sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Das erste Treffen fand einige Jahr später statt, in einem Pub in England. Aus dem ein oder anderen gemeinsamen Glas Bier wurde Freundschaft und schnell war klar, dass man die gleichen Ideen und Ziele hatte. Aber zunächst zog es auch Schenke nach Amerika auf die Three Chimneys Farm in Kentucky, wo mehr als ein Dutzend Deckhengste stehen. Vielen hundert Fohlen hat er mit auf die Welt geholt, auch in der Vorbereitung und Durchführung von Auktionen mitgeholfen. 2008 kehrte Schenke nach Deutschland zurück und übernahm die Leitung und Verwaltung des Gestüts Bernried von Dietrich von Boetticher. Zusammen genommen also eine gute Mischung, um selbst ein Gestüt aufzubauen. Dabei ist alles nach und nach aufgebaut worden und gewachsen – die Gestütsanlage und das dazugehörige Gelände, das durch Zupachtungen jetzt 55 Hektar umfasst, die Hälfte davon fürs Heumachen. 

Die Trouleshooter aus Lünzen

„Erfolg durch Fairness“ verkündet die Webseite des Gestütes. Fairness nicht nur den arg strapazierten Taschen deutscher Besitzer - Kunden - gegenüber, sondern der Kreatur Pferd, dessen schonende Ausbildung in jungen Jahren nach wie vor eine der Kernkompetenzen des Unternehmens ist. Schonendes „Pre-Training“, wie es auf Neu-Deutsch heißt, der Jährlinge bzw. Zweijährigen, bevor im Rennstall der eigentlich Ernst des Lebens beginnt, sowie fachgerechtes, doch stressfreieres Antrainieren von Rekonvaleszenten liegen Schenke und Witt am Herzen. Hier ist der Kundenstamm beachtlich gewachsen und umfasst neben Einzelbesitzern auch klangvolle Namen großer Gestüte. Neben einer Führmaschine steht die neue überdachte Longierhalle (in Monty-Roberts-Deutsch ein großer Round-Pen) zur Verfügung, die bewusst kleine Trabbahn ergänzt diese Ausstattung. „Wir verstehen Fairness auch so, dass es bei uns keine schnellen Galopparbeiten gibt. Wir sind keine Trainer, wir möchten die Pferde, jung oder genesen, langsam auf den Alltag im Rennstall vorbereiten. Und die Betonung liegt wirklich auf „langsam“. Schnelle Arbeiten können und wollen wir auch gar nicht gehen. Ein bisschen Arbeit wollen wir den Trainern auch noch übriglassen.“

Gestütseigener Nachwuchs aus der berühmten W-Linie im Jährlingsalter: Die junge Fuchsstute stammt von Helmet aus der Wurfspiel. ©Dequia - Frauke DeliusGestütseigener Nachwuchs aus der berühmten W-Linie im Jährlingsalter: Die junge Fuchsstute stammt von Helmet aus der Wurfspiel. ©Dequia - Frauke DeliusZusammen mit einem neu gepachteten Stalltrakt stehen rund 48 Boxen zur Verfügung. Zum Walk-In der Stuten für die Deckhengste, aber eben auch für besagtes vierbeiniges Klientel.  Doch nur mit viel Glück kann ein neuer Besitzer noch einen Platz ergattern. „Wir weisen ungerne Kunden ab, aber voll ist voll“ erklärt Schenke. Und ergänzt:“ Wir sind gewachsen und wissen sehr wohl, dass wir uns weiter beweisen müssen. Stillstand ist nicht unser Ding. Keiner weiß, was die Zukunft bringt, aber wir werden versuchen, sie erfolgreich zu formen.“

Das letzte Wort aber gilt der Vergangenheit, einer Vergangenheit, die um Jahrzehnte älter ist als das Gestüt. Abgeschirmt vom lebhaften Gestüts-Alltag verbringen auf einer kleinen ebenfalls zum Gestüt gehörenden Anlage einige alte, verdiente Zuchtstuten ihren Lebensabend. Ladys, manche gar älter als 30, die ihren Besitzern am Herzen liegen und hier in Würde ihren letzten Lebensabschnitt verbringen dürfen. Beinahe selbstbestimmt, robust, aber nie ohne ein wachendes Auge. Der letzte Schritt so stressfrei wie möglich. Fair ist eben fair. 

 

Catrin Nack/Frauke Delius

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