TurfTimes:
Ausgabe 559 vom Freitag, 15.03.2019
Der Regen konnte die angespannten Erwartungen nicht dämpfen. Cheltenham 2019 erwachte zu einem feuchten Beginn; lange vorhergesagt, setzte der Regen pünktlich am Morgen des ersten Meetings-Tags ein und beeinflusste die ohnehin nasse Bahn nicht unerheblich. National Hunt-Wetter, möchte man sagen, aber Cheltenham ist inzwischen viel mehr als „nur“ ein National Hunt-Meeting. „The Festival“ (diesen Begriff hat man sich schützen lassen) - der Höhepunkt des Rennjahres, eines der größten - das größte? - Hindernismeeting der Welt, ein Feuerwerk großer Rennen und hochklassiger Pferde, Treffpunkt eines zunehmend elitären Publikums. Üppige Eintrittspreise sind in England nicht ungewöhnlich, die großen Festivals bilden da - natürlich - keine Ausnahme: 45 Pfund für einen Bereich, der weder Zugang zum Führring noch zu einer der Tribünen bietet, ist kein Pappenstiel, und rund 90 Pfund (pro Tag, versteht sich) für die Club Enclosure muss man sich erst einmal erlauben können.
Einen festen Sitzplatz hat man damit noch nicht, doch Zugang zu diversen Annehmlichkeiten incl. einer großen Einkaufs-Zeltstadt und unterschiedlichsten Themen-Bars verschiedener alkoholischer Ausrichtung. Das Sponsoring des (irischen) Cider-Herstellers Magners tut ihr Übriges: Ein neuer Bereich, passenderweise The Orchard - der Obstgarten - genannt, der seine Inspiration ausgerechnet vom Melbourne Cup erhielt, ist neu und elitär: Rennbahnbesucher können hier ihre Drinks in besonders vornehmer Atmosphäre einnehmen. Es bleibt zu konstatieren, dass Englands Wetter im März nur bedingt dem Melbournes zum Cup-Day gleicht.
Seit Wochen hat die einschlägige Presse seine Leser auf allen Kanälen auf das Festival eingestimmt; Previews besucht, Trainer interviewt, Pferde bei der Morgenarbeit gefilmt. Ein irischer Fernsehsender strahlte seine Dokumentation „Jump Girls“ über (irische) weibliche Hindernisjockeys als weitere Einstimmung aus. Nachdem Katie Walsh und Nina Carberry im „Ruhestand“ sind, liegt der Fokus in diesem Bereich (neben Bryony Frost und Lizzy Kelly in England) nun vor allem auf Rachael Blackmore, die sich in Irland - hierzulande vielleicht etwas unbemerkt - ein ausgezeichnetes Standing erarbeitet hat. Erst vor rund zwei Jahren brach sie mit aller Macht in die irische Jockey-Szene ein: in der Saison 2016/17 gewann sie als erster weiblicher Jockey den Titel des Champion-Nachwuchsreiters. In Irland steigt sie inzwischen routinemäßig für alle großen Trainer in den Sattel und wird auch von Ryanair-Boss Michael O´Learys Gigginstown House Stud stark unterstützt.
Rennbahnen - wie wohl Sportstätten aller Art - werden gerne als „theatre of dreams“ bezeichnet, und nirgendwo träumt man größer als in Cheltenham. Glück und Niederlage liegen einen Hufschlag voneinander entfernt, Hürden und die großen Jagdsprünge halten das Ergebnis bis zum (manchmal bitteren) Ende offen, kein Traum - und keine Wette - ist sicher, bis Pferd und Jockey nicht unbeschadet das allerletzte Hindernis überwunden haben. Leidenschaftlicher Sport auf höchstem Niveau steht für schwindelerregende Höhen und dramatische Niederlagen, Teil der Faszination des National Hunt Sports ist neben den kraftraubenden Leistungen von Mensch und Tier sicher auch die Unwägbarkeit.
Dramatische Stürze prägten den ersten Tag des Festivals, in gleich vier Rennen schieden die Favoriten/Mit-Favoriten durch Stürze aus, welcher für Ballyward im letzten Rennen des Tages, des berüchtigten Vier-Meilers, leider tödlich verlief. Das Rennen war der unrühmliche Abschluss eines ansonsten glorreichen Tages, auch wenn nicht immer die „gemeinten“ Pferde die Schlagzeilen schrieben. Cheltenham-Dienstag ist Champion Hurdle -Tag: In diesem Jahr Buveur d´ Air gegen die Ladys Apple´s Jade und Laurina; Buveur d´Air, der versuchte, als erstes Pferd seit dem großen Istabraq die Champion Hurdle zum dritten Mal in Folge zu gewinnen. Es wurde - zum sprachlosen Erstaunen der gesamten Rennbahn - das Rennen des lachenden … Vierten, dem erst fünfjährigen, französisch gezogenen Espoir d´Allen aus dem kleinen Quartier von Hufschmied Gavin Cromwell. „Ich habe erst in der letzen Woche Apple´s Jade beschlagen, sie ist eine unglaubliche Stute. Ich dachte, sie gewinnt. Sie wird gelernt haben und kann immer noch irgendwann eine Champion Hurdle gewinnen. Dass Espoir d´Allen es getan hat, ist einfach unglaublich“, so der atemlose Trainer, der 45 Pferde trainiert und mit 11 Startern in Gruppe 1-Rennen bereits drei Erfolge auf höchstem Niveau feiern konnte.
Es war der achte Sieg in dieser Prestige-Prüfung für Besitzer JP McManus, fünf Siege kamen selbstredend mit nur zwei Pferden zustande. Titelverteidiger Buveur d´Air kam bereits am dritten Sprung zu Fall, folgte dem Feld reiterlos und kam kurioserweise nur einen Kopf hinter seinem Stallgefährten ins Ziel. Laurina musste in dieser Gesellschaft Grenzen bekennen, die bitterste Enttäuschung des Rennens war jedoch Apple´s Jade. Als Favoritin gestartet, hatte die dunkelbraune Stute, die dem Vernehmen nach in der Vergangenheit mit Dauerrosse zu kämpfen hatte, sicher einen unruhigen Rennverlauf und wurde Opfer einer Art Team-Taktik des Mullins-Stalles. Doch selbst Trainer Gordon Elliott konnte nach dem Rennen keine Erklärung für die katastrophale Leistung seines Stars liefern, die einfach niemals im Rennen war und beinahe 30 Längen hinter dem Sieger eintrudelte.
Der Tag, der für Champion-Trainer Willie Mullins mit dem Verlust von Ballyward so bitter endete, hätte im krassen Kontrast nicht besser starten können. Der legendäre „Roar“ der Zuschauer, der sich zum ersten Rennen des Meetings dröhnend über dem Prestbury Park erhebt, schickte sechzehn Pferde für die Supreme Novices´ Hurdle (Gr.1, 2m) auf die Reise, die Prüfung für angehenden Zwei-Meiler in beiden Metiers. In diesem Jahr eine besonders offene Angelegenheit, war man gut beraten, sich des Erfolgs-Duos Mullins-Walsh zu erinnern: Das Rennen wurde zur Einbahnstraße für Klassical Dream (Dream Well), im letzten Monat bereits Gr. 1-Sieger beim Dublin Festival in Leopardstown, der das Rennen von der Spitze aus dominierten und einen jubelnden Ruby Walsh mit sicherem Vorsprung über die Ziellinie trug.
Willie Mullins holte mit Duc de Genievres (Buck´s Boum) in der nachfolgenden Arkle Chase (Gr.1, 2m) direkt zum Doppelschlag aus, für Ruby Walsh sollte es jedoch Dicke kommen. Seit Wochen hatte er seinen Ritt in der Mares´ Hurdle (Gr.1, 2m4f) - Benie de Deux - als Banker des gesamten Meetings verkündet, und die 8j., französisch gezogene Great Pretender-Tochter, deren Namen übersetzt „von den Göttern gesegnet“ bedeutet, schien sich an diese Vorhersage halten zu wollen. „Hände voll“ galoppierte sie durchs Rennen, ging immer überlegen, strebte mit deutlichem Vorsprung auf die letzte Hürde zu, doch hier schlugen die erwähnten Unwägbarkeiten des Sports mit voller Wucht zu; die Stute verschätze sich am Absprung, blieb mit einem Huf hängen und ging unter dem kollektiven Stöhnen der Favoriten-Wetter spektakulär zu Boden.
Es war ein grauenhafter Sturz, der in England sofort die Erinnerung an Annie Power wachrüttelte, die seinerzeit an exakt der gleichen Hürde ausgeschieden war, ebenfalls unter Ruby Walsh für Besitzer Rich Ricci. Die Stute brauchte allen Segen der Götter - und die Hilfe des weichen Bodens - um ihren Überschlag ohne größere Blessuren zu überstehen; glücklicherweise wurde sie am Mittwoch aber gesund gemeldet. Walsh selber kam in allen Social Media Kanälen unter enorme Kritik; er ist inzwischen ein Jockey, der die Massen polarisiert wie kaum ein anderer. Zunehmend selektiv in der Auswahl seiner Ritte, die selbstredend per se im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, verfolgt Walsh - zu Recht oder Unrecht - der „Fluch des letzten Sprungs“. Genaue Analysen stehen aus, doch kein Jockey reitet und denkt wie Walsh; seine Körperhaltung, die im Rennen niemals auch nur den leisteten Aufschluss über die verbleibende Kraft seiner Pferde gibt, nur eines seiner Markenzeichen. Er war ein wichtiger Teil des Teams während der goldenen Jahre am Stall von Paul Nicholls, und ist nun eines der Gesichter des konstanten Erfolgs am Mullins-Stall; schon zu aktiven Zeiten eine Art Legende.
Und dann war da ja noch Rachael Blackmore. Ihr Sieg auf A Plus Tard, von Erfolgs-Trainer Henry de Bromhead augenscheinlich mit einigen (Handicap) - Kilos in der Hand an den Start gebracht, markierte den heiß ersehnten ersten Cheltenham-Treffer. In den bekannten rot-weißen Flachrenn-Farben von Cheveley Park, deren Engagement im Hindernissport an dieser Stelle mehrfach erwähnt wurde. „ Ich habe viel von meinem ersten Sieger geträumt, hätte mit aber nie vorstellen können, dass es mit so großem Vorsprung gelingt.“ so eine hocherfreute Blackmore.
Zusammen mit dem Wetter beruhigten sich am zweiten Meetingstag auch die Rennverläufe. Nicht die Unwägbarkeiten, sondern echte Helden des Sports standen im Vordergrund, vor allem Vierbeinig. Unzählige Besitzer träumen davon, einmal einen Sieger in Cheltenham vom Geläuf zu holen; es bleibt ein Traum. Doch dann sind da Pferde, die die Rennbahn gleichsam zu ihrem Wohnzimmer machen; von der brodelnden Atmosphäre weiter angetrieben, hier ihre Konkurrenz nach Belieben beherrschen. Nicht einen, sondern gleich zwei vierfache (!) Cheltenham-Sieger bescherte der Mittwoch. Zwei Pferde, so unterschiedlich in Statur und Klasse, doch Legenden alle Beide. Altior wird bewundert: seine Eleganz, seine Klasse, seine Unbesiegbarkeit, Tiger Roll wird geliebt. Altiors Sieg in der Champion Chase stellte Rekorde ein und auf: sein dreizehnter Sieg in Folge über die Jagdsprünge, sein 18er Sieg in Folge über Hindernisse ingesamt, so eine Serie hatte vor ihm nur der große Big Buck´s erlaufen. Seine Sequenz in Cheltenham die „logische“ Reihenfolge eines Spitzenpferdes: Supreme Novices´ Hurde (Gr.1, 2m), Arkle Novices´ Chase (Gr.1, 2m) , nun zum zweiten Mal die Champion Chase.
Seine Gewinnsumme kletterte über die Millionen-Grenze, doch was auf dem Papier so einfach klingt, war auf dem Rasen durchaus ein harter Kampf. Sicher, Altior gewinnt selten mit riesigem Vorsprung, er tut genug und findet immer wieder Reserven. Am Mittwoch in Cheltenham machte er am kleinsten Hindernis der Rennbahn, dem Wassergraben, den wohlmöglich schwersten Fehler seiner gesamten Laufbahn, und danach ließ der High Chaparral-Sohn seinen gewohnten Fluss vermissen, sprang leicht nach links, zu groß oder verpasste den richtigen Absprung. Gleich zwei Jockeys dachten im Einlauf, dass sie das Rennen würden gewinnen können, keiner von ihnen hieß Nico de Boinville. Am letzten Sprung, den Altior erneut nicht fließend genommen hatte, schien er seinen Gegnern Politologue als auch Sceaux Royal eine Chance zu servieren. Aber dann kamen sein Herz und seine ganze Klasse zum Einsatz, und es war Altior, der seinen Kopf in Front schob, alle Reserven mobilisierte, Altior, dessen brauner Körper sich langsam, aber sicher von seinen Gegnern lösen konnte. „Ich bin sicher, wenn ich einmal nicht mehr reite, werde ich auf diese Tage zurück blicken und denken: Wow, das war fantastisch“, so ein sichtlich animierter de Boinville. „Ich habe Sprinter Sacre nicht auf seinem Höhepunkt geritten, jetzt ich reite Altior, somit ist er der Beste, den ich je geritten habe.“ Hoch, höher, Altior.
Ein anderer Jockey fand ähnliche Worte für seinen Partner, hier geht die Partnerschaft sogar noch tiefer. Es scheint nicht übertrieben, zu behaupten, dass Tiger Roll wenn nicht das Leben, so zumindest die Karriere von Keith Donoghue rettete. „Ich wäre nicht, wo ich heute bin, wenn es Tiger Roll und Gordon Elliott nicht gäbe“ bekannte ein emotionaler Donoghue nach der Cross Country Chase, die der kleine Kämpfer Tiger Roll soeben mit der halben Bahn und hart am Gebiss gewonnen hatte. Der Authorized-Sohn hat seinen ganz eigenen Stil, Hindernisse zu überwinden, kaum ein Pferd springt so ökonomisch wie er. Das war nicht immer so. „ Er hatte die Nase voll vom Sport, war richtig sauer“, bekannte ein erleichterter Gordon Elliott, der noch an all den schmerzhaften Niederlagen des ersten Tages knabberte und hier endlich seinen ersten Sieger der Festivals vom Geläuf holte. „Wir haben es Keith zu verdanken, der mit ihm auf Jagden ging und Tiger Roll so den Spaß an den Rennen zurück gab.“ Und am Siegen. Auch Tiger Roll hat nun vier Festival-Rennen (und natürlich ein Grand National!) gewonnen, Rennen, die unterschiedlicher kaum sein können: als Vierjähriger gewann er die Triumph Hurdle (Gr.1, 2m), als 7j. die National Hunt Chase; den bereits erwähnte „Vier-Meiler“. Nun in den letzen beiden Jahren die Cross-Country Chase, eine eigentümliche Prüfung über Hecken, Wälle, Gräben, Schranken und Mauern. Keine „klassischen“ Prüfungen, doch dem Publikum ist das egal. Sie lieben einen Kämpfer, wenn sie einen sehen, und der Applaus, der Tiger Roll bei der Siegerehrung begrüßte, war noch lauter als der für Altior. Vielleicht sind die Iren auch einfach etwas ausgelassener.
Jenseits dieser beiden Stars gewann Paul Nicholls endlich wieder eine Gr.1-Prüfung, seine erste seit 2015. Topofthegame war in der RSA Novices´ Chase (Gr.1, 3m 1/2f ) eben dies, der helle Fuchs musste unter Stalljockey Harry Cobden allerdings mächtig arbeiten. Das tat auch Nicholls im Führring, der Trainer feuerte seinen Schützling, der zum Teil seinem „Vermieter“ Paul Barber gehört und in dessen grünen Farben läuft, mit Händen und Füssen lautstark an; dieser Sieg war für den Trainer mehr als eine Genugtuung. Joseph O´Brien konnte in der Fred Winter Juvenile Handicap Hurdle (Gr.3, 2m 1/2f; für Vierjährige Pferde) den ersten Festival Sieger in seinem eigenen Namen feiern, leider nicht mit dem Ex-Deutschen Maxios-Sohn Star Max, der unter Rachael Blackmore lange gut dabei war.
Vor einigen Jahren hatte Ivanovich Gorbatov noch offiziell für Vater Aidan gewonnen, auch wenn es ein offenes Geheimnis war, das Joseph für das Training verantwortlich zeichnete. Nun steht sein Name auch offiziell unter dem Sieger Band of Outlaws. Im abschließenden Champion Bumper, dem Gr. 1-Flachrennen des Meetings, wollten die Brüder O´Brien zu einem Doppelschlag ausholen, Donnacha schwang sich in den Sattel des in den berühmten Coolmore-Farben laufenden Meticulous. „Ich habe nicht mehr viele Chancen“ bekannte er, wie Joseph erfolgreicher Flachjockey, der aufgrund seiner Größe aber ebenso wie sein Bruder mit Gewichtsproblemen zu kämpfen hat. Erneut schlug jedoch Gordon Elliott zu, dessen Envoi Allen, ein weiterer Sieger für Cheveley Park Stud, einfach nicht zu bezwingen war. Der mächtige Wallach hat nun vier Bumper gewonnen, und wird von seiner Umgebung noch immer als Baby bezeichnet. Er ist ein Pferd mit einer großen Zukunft.
Catrin Nack