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Chippis Chancenverwertung: Mit Ito der nächste Treffer im Großen Preis von Baden?

Jean-Pierre "Chippi" Carvalho mit Hofhund in der Trainingszentrale in Bergheim, in der es alles gibt (inkl. Labor nebst Röntgengerät) - nur keine postalische Adresse. Foto: Sebastian Höger

Autor: 

Frauke Delius

TurfTimes: 

Ausgabe 383 vom Donnerstag, 03.09.2015

Trägt auch Hut: Trainer Jean-Pierre Carvalho, den alle nur "Chippi" nennen. www.galoppfoto.de - Frank SorgeTrägt auch Hut: Trainer Jean-Pierre Carvalho, den alle nur "Chippi" nennen. www.galoppfoto.de - Frank SorgeDie Ansprache wechselt zwischen "Qui" und "Ja", wenn man Jean-Pierre "Chippi" Carvalho am Handy erreicht. Und weil sein Trainingsstall zwar eine der besten Adressen des Landes ist, jedoch keine wirkliche Adresse hat, muss man ihn beim ersten Besuch in der Trainingszentrale des Gestüts Schlenderhan und dem Stall Ullmann in Bergheim schon zwei- , dreimal anrufen, um sich von der Landstraße aus durch Wald, über Brücken und Feldwege leiten zu lassen, bis man vor dem verschlossenen Tor steht. Dort werden die Besucher abgeholt. Ungemeldet wird sich hier ohnehin keiner hinbegeben. "Chippi" klingt auch beim dritten Anruf noch gelassen, er kennt das, "oft genug muss ich die Besucher irgendwo auflesen, die Straße hat keinen Namen, ein Navi kann uns nicht finden."
 Seinen Spitznamen verdankt der gebürtige Franzose im Übrigen einem Jockeydiener ungarischer Herkunft in Wien, "das war 1992, ganz am Anfang meiner Karriere, da hat der aus dem Kürzel 'J.P.' eben "Chippi' gemacht, seitdem nennt mich jeder so. Obwohl das auf Französisch eigentlich einen etwas früreifen Teenie bezeichnet, man könnte auch Luder sagen, aber einen Spitznamen kann man nicht ändern." 

Konzentriert: Jean-Pierre Carvalho an der Lottafel. Foto: Sebastian HögerKonzentriert: Jean-Pierre Carvalho an der Lottafel. Foto: Sebastian HögerSchönes Ambiente: Ito einige Tage vor dem Start im Longines - Großer Preis von Baden in seiner heimatlichen Box. Foto: Sebastian HögerSchönes Ambiente: Ito einige Tage vor dem Start im Longines - Großer Preis von Baden in seiner heimatlichen Box. Foto: Sebastian HögerIm Rennstall hat der Trainer noch zu tun. Zeit für eine kleine Besichtigung. Ito, der Hauptgrund des Besuches auf vier Beinen, steht gleich in der Box schrägt gegenüber der Lot-Tafel. Auch sieben Jahre nach dem Bau riecht es im Stall noch wunderbar wie nach frischen Holz. Die Boxen sind fast alle gefüllt, die Namensschilder lesen sich wie das "Who is Who" der deutschen Vollblutzucht, nicht nur Schlenderhaner und Ullmann-Pferde, auch die Cracks und Hoffnungstäger anderer Besitzer stehen hier. Jean-Pierre Carvalho arbeitet als Public-Trainer. 

Hat in Iffezheim schon vorgelegt: Ito mit Filip Minarik beim Sieg im Großen Preis der Badischen Unternehmer. www.galoppfoto.de - WiebkeArtHat in Iffezheim schon vorgelegt: Ito mit Filip Minarik beim Sieg im Großen Preis der Badischen Unternehmer. www.galoppfoto.de - WiebkeArtAber nun zu Ito, dem Favoriten für den Longines - Großer Preis von Baden (beim Klick auf den Renntitel gibt es alle Infos!), wie wir meinen. Doch das will sein Trainer so nicht stehen lassen, "Mitfavorit ja", aber da seien schon noch ein paar gute Mitbewerber im Rennen, allen voran der "französische Brocken Prince Gibraltar", ein Spezialist auf tiefen Boden, wenn auch eher über 2.000 bis 2.200 Meter, aber auch Nightflower, die Stute mit 5,5 Kilo Gewichtsvorteil und mit Andrasch Starke an Bord, sei nicht zu unterschätzen. Und der Derbyzweite Palace Prince, dessen Bruder Palace King vom Gestüt Höny-Hof als eines von derzeit 53 Pferden auf seiner Trainingsliste steht, habe die Nachnennung auch zu Recht erhalten. Und Ito selbst? "Der ist schon sehr gut drauf", heißt es, "hat das Rennen in Hoppegarten (wo er im 125, Großen Preis von Berlin hinter dem englischen Gast Second Step Zweiter wurde, Anmerkung der Redaktion) "sehr gut weggesteckt".  Aber eigentlich müsse er sich überhaupt keine Gedanken machen, "denn Ito nimmt das selbst in die Hand, entweder sind die anderen besser als er - oder eben nicht", lautet die Analyse, da sei er ganz anders als Ivanhowe, der genau vor einem Jahr die 142. Auflage des Großen Preises von Baden gwonnen hat. "Den musste man als Speedpferd taktisch reiten, so ein Pferd ist vom Rennverlauf und damit glücksabhängig." 

Fliegt zum ersten Gr. I-Treffer für Trainer Jean-Pierre Carvalho: Ivanhowe mit Filip Minarik im Longines - Großer Preis von Baden 2014. Insgesamt hat der Trainer in Bergheim in knapp zwei Jahren 10 Gruppe-Siege gelandet, davon 3 auf Gr. I-Parkett. www.galoppfoto.de - Frank SorgeFliegt zum ersten Gr. I-Treffer für Trainer Jean-Pierre Carvalho: Ivanhowe mit Filip Minarik im Longines - Großer Preis von Baden 2014. Insgesamt hat der Trainer in Bergheim in knapp zwei Jahren 10 Gruppe-Siege gelandet, davon 3 auf Gr. I-Parkett. www.galoppfoto.de - Frank SorgeAn diesem Tag hat er das Glück gehabt. Und das, obwohl der Besitzer Georg Baron von Ullmann da schon abgereist war, "das war bis dahin ein Meeting, das uns keinen Spaß gemacht hat", erinnert sich Carvalho, und auch Ivanhowe galten wohl nicht allzu viele Hoffnungen. Aber dann flog die 116:10-Chance mit Filip Minarik allen davon, inklusive dem bis dato ungeschlagenen Derbysieger Sea The Moon. Carvalhos erster Gr. I-Sieger. Nicht nur als Trainer für Schlenderhan und den Stall Ullmann, für die er seit dem 01. Januar 2014 trainiert, sondern überhaupt. Auch als Jockey hatte es der gebürtige Franzose bei 844 Siegen maximal auf das Gr. II-Treppchen geschafft. Nun trainiert er Pferde, "die das beste Blut Deutschlands repräsentieren. Es sei sein Pflicht, diese Blutlinien wertvoll zu erhalten, besser: noch wertvoller zu machen." 

Gruppenbild: Besitzer Georg Baron von Ullmann (links) nach dem Sieg von Amazona in Hoppegarten mit Filip Minarik und Trainer Jean-Pierre Carvalho. www.galoppfoto.de - Frank SorgeGruppenbild: Besitzer Georg Baron von Ullmann (links) nach dem Sieg von Amazona in Hoppegarten mit Filip Minarik und Trainer Jean-Pierre Carvalho. www.galoppfoto.de - Frank SorgeZiemlich viel Pathos, aber Schlenderhan, so Carvalho, "ist ein großer Name". Mit dem hatte er bis vor zwei Jahren fast nichts zu tun. "Nur zweimal habe ich als Jockey die Schlenderhaner Farben getragen, davon einmal mit Tertullian ein Listenrennen in München gewonnnen", erinnert er sich, "dabei habe ich den Ritt auch nur bekommen, weil kein anderer Jockey da war."  Da kam der Anruf des Schlenderhan-Eigners mit dem Angebot in der Bergheimer Trainingszentrale als Public-Trainer zu arbeiten, dabei auch das Gros der eigenen Pferde inkl. derer des Stalles Ullmann zu trainieren, schon überraschend. "Ich bin zwei Jahre vorher nach Frankreich gegangen, nach bescheidenen Anfängen in der Löwenarena Chantilly mit 3 Pferden und 10 Siegen im ersten Jahr, hatten wir mit unserem Ecurie Carvalho gerade richtig schönen Rückwind mit mittlerweile 18 Pferden und 24 Siegen im 2. Jahr, da kommt so ein Anruf aus Schlenderhan." Keine einfache Entscheidung, wenn auch eine schnelle. "Klar, tut es weh sein eigenes Baby aufzugeben, aber wann kriegt man schon so eine Chance? Vom Kopf und vom Bauchgefühl her, musste ich da einfach 'ja' sagen." 

Und dann wird Carvalho noch ein bisschen philosophisch. Glaubt ohnehin an Begegnungen und schicksalhafte Momente, die dem Leben eine andere Richtung geben können. "Manche Chancen kriegt man nur einmal", meint er, "und man kann nur bereuen, was man nicht gemacht hat." Der ganze Rennsport lebe von den Hochs und Tiefs, und auf die aktuelle Situation bezogen heißt es: "Eine Siegquote von 25 % bedeuten auch 75 %, Rennen, die nicht gewonnen sind." Eine hundertprozentige Erfolgsbilanz gibt es nie, "man muss die Spielregeln kennen und damit umgehen. Entweder ist man gut genug, oder es klappt eben nicht. Natürlich habe ich da Leistungsdruck!" Sein Job sei es, die Pferde auf die Bahn zu bringen, dabei müsse er wie jeder andere Trainer auch, wirtschaftlich denken und arbeiten. "Ich habe auch kein Problem damit, wenn jemand aus meinem Stall ein Pferd wegkauft, das macht doch den Sport aus und ist eine tolle Werbung für die deutsche Vollblutzucht, die Züchter investieren das Geld doch auch wieder." 

Auch sechs Jahre nach dem Karriereende noch in Jockey-Form: "Ein bisschen reiten und ein bisschen Sport, dann wäre ich schnell wieder fit. Aber das ist Vergangenheit. Ich bereue das Ende meiner Reitkarriere nicht und bin sicher auch keiner, der als Rentner in der Kneipe von meiner Karriere erzählen wird."Auch sechs Jahre nach dem Karriereende noch in Jockey-Form: "Ein bisschen reiten und ein bisschen Sport, dann wäre ich schnell wieder fit. Aber das ist Vergangenheit. Ich bereue das Ende meiner Reitkarriere nicht und bin sicher auch keiner, der als Rentner in der Kneipe von meiner Karriere erzählen wird."Große Worte für einen Mann, der als kleines Kind auf dem Campingplatz das erste Mal mit Pferden in Kontakt kam, beim Ponyreiten. "Danach hatte ich nichts anderes mehr im Kopf, auch wenn das ein zu teuerer Sport für meine bescheidene Herkunft war." Reitstunden waren nicht drin, aber ein Freund des Vaters hatte die Idee, es doch als Jockey zu versuchen: "Der hat die Statur und das Reiten kostet nichts!"  Die erste Station war der Hindernistrainer Jean-Bertan de Balanda, aber so richtig ins Laufen kam die Karriere in Frankreich nicht, oder wie Carvalho es sagt: "Da lief gar nichts! Bei 4 Flachritten und 20 über die Hindernisse habe ich nichts bewegt, meine Karriere wäre da schon beinahe zu Ende gewesen, wenn nicht eine Anfrage aus Österreich von Gérard Martin gekommen wäre, das war 1992, da war ich 21, reisefreudig, neugierig und hatte nichts zu verlieren." 

Dann kam München, eine Zeit, aus der "Chippi" noch immer Weißbier, Weißwurst und Leberkäse als die Highlights der kulinarische Genüsse aus deutschen Landen in Erinnerung hat, ansonsten fehlt ihm eigentlich nur das Baguette, so wie er es in Frankreich kennt, "das kriegen die in Deutschland einfach nicht hin." Ansonsten fühlt er sich hier wohl, seine Frau Sandra, auch als Besitzertrainerin aktiv, kommt aus Deutschland, kennengelernt haben sie sich im Stall von Mario Hofer, "sicher auch eine Begegnung, die mein Leben sehr geprägt hat." Ein munteres Familienleben mit zwei Söhnen (14 + 4) will auch gemanagt werden. 

Ein Franzose in Deutschland: Jean-Pierre Carvalho landete 844 Siege. www.galoppfoto.de - Frank SorgeEin Franzose in Deutschland: Jean-Pierre Carvalho landete 844 Siege. www.galoppfoto.de - Frank SorgeDie Rennkarriere endete früher als erwartet, "da war ich 38 und hätte gerne die 1.000-Siege voll gemacht." Aber eine schwere Reitverletzung, das Brustbein war gebrochen, brachte eine fast einjährige Zwangspause, die Carvalho dazu nutzte, die Trainerprüfung zu machen. "Ich hätte damals zwar wieder reiten können, kriegte aber das Angebot als Trainer für Klaus Hoffmann mit 20 Pferden anzufangen." Auch wieder so eine Chance, bei der er zugriff. Erste Station Iffezheim, dann Frankfurt, dann Chantilly und der Anruf aus Bergheim. Dazwischen ist der jetzt 44-Jährige ziemlich grau geworden, "das liegt aber in der Familie, nicht am Job!" 

Bei der Arbeit: Ito mit Christoph Bannach, am Samstag geht es nach Iffezheim. Foto: Sebastian HögerBei der Arbeit: Ito mit Christoph Bannach, am Samstag geht es nach Iffezheim. Foto: Sebastian HögerJetzt sattelt er den "Mit"-
Favoriten Ito im Longines - Großer Preis von Baden. "Ein erstaunliches Pferd, ein geschonter Dreijähriger, der gezielt auf die Vierjährigen-Saison vorbereitet worden ist. Das ist das Tolle an Schlenderhan, dass die Pferde dafür auch die Zeit kriegen" Im Mai hat er in Baden auf gutem Boden ein Gr. II-Rennen gewonnen, aber weicher Boden wäre vielleicht doch noch besser, sinniert der Trainer und schaut wieder auf seine Wetter-App. "Die spinnt total, jeden Tag kommt was anders dabei raus ..." Aber er muss sich ja keine Gedanken machen. 

Factfile Jean-Pierre Carvalho

Wann geboren und wo? 

11. August 1971 in Clermond-Ferrand/Frankreich

Karriere als ReiterAusbildung bei Jean-Bertan de Balanda, ab 1992 bei Gérard Martin in Wien, 1994 - 1999 Jutta Mayer in München, dann sieben Jahre (mit ein paar Unterbrechungen) bei Mario Hofer
Siege und größte Erfolge als JockeyIm Rennsattel: Jean-Pierre Carvalho mit Fair Breeze 2006 in Bad Doberan. www.galoppfoto.de - Frank SorgeIm Rennsattel: Jean-Pierre Carvalho mit Fair Breeze 2006 in Bad Doberan. www.galoppfoto.de - Frank Sorge844 (in Deutschland registiert) - darunter mehrere Gruppe-Rennen, die größten wohl mit Fair Breeze
Karriere als Trainer2008 als Trainer für Klaus Hoffmann in Iffezheim und Frankfurt, 2012 - 2013 Public-Trainer Chantilly, seit dem 01.01.2014 Public-Trainer in der Trainingszentrale Schlenderhan/Ullmann in Bergheim

Siege und größte Erfolge als Trainer

Bild mit Seltenheitswert: Beim Jubeln hält sich Jean-Pierre Carvalho eher zurück, beim Sieg von Ivanhowe im Pastorius - Großer Preis von Bayern, Gr. I, ist er in Abwesenheit des Besitzers gemeinsam mit dem General Manager Gebhard Apelt doch mal auf dem Geläuf zu sehen. Foto: Murat FischerBild mit Seltenheitswert: Beim Jubeln hält sich Jean-Pierre Carvalho eher zurück, beim Sieg von Ivanhowe im Pastorius - Großer Preis von Bayern, Gr. I, ist er in Abwesenheit des Besitzers gemeinsam mit dem General Manager Gebhard Apelt doch mal auf dem Geläuf zu sehen. Foto: Murat Fischer83 (Stand 03.09.2015 in Deutschland registriert, dazu 34 Siege in Frankreich

Ivanhowe - 142, Großer Preis von Baden, Gr. I, Pastorius - Großer Preis von Bayern, Gr. I, 79. Gerling-Preis, Gr. II

Guilliani  Großer Dallmayr-Preis, Gr. I

Ito - Großer Preis der Badischen Unternehmer, Gr. II, 2. im 125. Großen Preis von Berlin, Gr. I

Walzertakt - Prix Maurice de Nieuil, Gr. II

Almandin - Großer Preis der Badischen Unternehmer, Gr. II

Guardini - 80. Gerling-Preis, Gr. II, Prix du Lys, Gr. III

Donnerschlag - Sparkasse Holstein-Cup, Gr. III

 

Welches ist/war das Lieblingspferd als Reiter und als Trainer und warum?

Als Reiter keines. In dreissig Jahren gab es viele gute Pferde. Als Trainer Zaubertänzerin, mit der habe ich zehn Verkaufsrennn innrhalb von zwei Jahren gewonnen. 

 

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