TurfTimes:
Ausgabe 535 vom Freitag, 14.09.2018
Rennreiteriin mit großem Potential: Josephine Gordon 2017 in Royal Ascot konnte auch bei ihrem ersten Start in Deutschland überzeugen. www.galoppfoto.de - Frank SorgeEin Blick in das Rennprogramm des Düsseldorfer Renntags am letzten Sonntag ließ nicht erahnen, dass an diesem Tag die englische Reiterin Josephine Gordon ein kleines Stück Turf-Geschichte schreiben würde, ihr Name tauchte nämlich nirgendwo auf. Zwar gab es im sportlichen Hauptrennen des Tages, dem Großen Preis von Engel & Völkers Düsseldorf - Düsseldorfer Fliegerpreis (L), eine Gaststute von der Insel, doch war für die von Michael Wigham trainierte Clear Water das schottische Nachwuchstalent Nicola Currie als Reiterin angegeben. Da Currie den Flug nach Düsseldorf nicht antreten konnte, buchte ihr Agent Phil Shea in Absprache mit Michael Wigham den Ritt auf Clear Water auf einen seiner anderen Schützlinge um, so dass die auch von ihm betreute Josephine Gordon, die Clear Water ohnehin von zwei früheren Ritten kannte und mit ihr Ende August ein Handicap über Fliegerdistanz in Newmarket gewonnen hatte, als Ersatz für Currie in Düsseldorf zum Einsatz kam.
Für Gordon war es der erste Ritt auf einer deutschen Rennbahn, für die ihr anvertraute Stute der letzte Rennbahnauftritt vor dem Wechsel ins Gestüt, für beide endete der Ausflug nach Düsseldorf mit einem souveränen Sieg. Während die junge Britin deutsche Turf-Fans am Sonntag erstmals beeindrucken konnte, gehört sie in ihrer Heimat schon länger zu den bekannten Gesichtern der Jockey-Szene, sicherlich auch, da erfolgreiche Frauen im Jockey-Dress noch immer nicht die Regel sind und automatisch stärkere mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Wir nehmen ihren Düsseldorfer Erfolg zum Anlass, ihren alles andere als kometenhaften Aufstieg dem deutschen Turf-Publikum vorzustellen.
Josephine Gordon ist eine bemerkenswerte 25jährige Frau, die sich in den letzten zweieinhalb Jahren in der britischen Jockey-Szene etabliert hat. Sie wuchs als jüngste von vier Geschwistern in der Grafschaft Devon im Südwesten Englands auf. Ihre alleinerziehende Mutter Cheryl betrieb einen Pensionsstall für Reitpferde, so dass die kleine Josephine von Kindesbeinen an Kontakt zu Pferden hatte. Ob die schon mehrfach in Interviews von ihr erzählte Anekdote, dass sie als Kleinkind zunächst reiten und erst danach laufen gelernt hat, da ihre Mutter sie im Stall immer auf den Rücken von Pferden gesetzt hätte, tatsächlich der Wahrheit entspricht, können wir nicht nachprüfen, eine schöne Geschichte ist es allemal.
Doppelte Damen-Power im Großen Preis von Engel & Völkers Düsseldorf - Düsseldorfer Fliegerpreis: Clear Water, tragend von Postponed, gewinnt ihr letztes Rennen vor der Zuchtkarriere mit der erfolgreichen englischen Rennreiterin Josephine Gordon. Foto: Dr. Jens FuchsZum Rennreiten kam sie über Ponyrennen. Mit 12 Jahren ritt sie ihr erstes Ponyrennen und hatte von Stund an ein klares Berufsziel, sie wollte Jockey werden, Hayley Turner war ihr Idol als Teenager. Im Alter von 16 Jahren ging sie an die British Racing School in Newmarket und absolvierte dort ein neunwöchiges Ausbildungsprogramm, das die Voraussetzung für eine Anstellung in einem britischen Trainingsquartier ist. Nach erfolgreichem Abschluss erhielt sie eine Anstellung am kleinen Quartier von Anabel Murphy in Stratford upon Avon. Dort blieb sie zwei Jahre, wurde jedoch nicht als Nachwuchsreiterin in Rennen eingesetzt. Sie kündigte ihren Job und wusste zunächst nicht, was sie nun machen sollte. Alternativen zum Rennsport sah Gordon für ihr Leben nicht, so dass sie sich nach einer Pause zu einem Neuanfang entschloss.
Sie heuerte am Quartier von Joanna („Jo“) Hughes in Lambourn an, für die sie auch ihre ersten Ritte auf der Rennbahn absolvierte. In 2012 kam sie zweimal ohne zählbare Ausbeute zum Einsatz. Am 4. September 2013 schaffte sie dann für ihr Quartier im Sattel des damals 4jährigen Wallachs Chester'slittlegem in einem Nachwuchsreitern vorbehaltenen Handicap der zweituntersten Kategorie (Class 6) auf der Rennbahn in Bath ihren ersten Sieg. Am Ende der Saison hatte sie 24 Ritte absolviert, neben einen Sieg standen jeweils dreimal Platzierungen auf dem 2. und 3. Rang zu Buche, der große Durchbruch war dies noch nicht. Der erfolgte auch nicht in der für Gordon enttäuschenden Saison 2014, in der sie insgesamt nur 38mal die Chance in einem Rennen erhielt, mehr als ein paar Platzierungen (fünfmal Rang 2, dreimal Rang 3) sprangen dabei nicht heraus.
Erst der Wechsel zum ebenfalls in Lambourn trainierenden Stan Moore im Jahr 2015 brachte die Wende. Nach einer Durststrecke von 18 Monaten ritt Gordon, die in der Folgezeit mit dem Spitznamen JoGo belegt wurde, ihren zweiten Sieger. In der Folgezeit erhielt sie zunehmend mehr Ritte und wusste ihre Chancen auch zu nutzen. Die Bilanz der 2015er Saison mit 16 Siegen aus 165 Ritten, wobei sie nur rund die Hälfte der Ritte und Siege für das Quartier von Stan Moore erzielte, da sie auch in dieser Zeit schon von anderen Trainern gebucht wurde, liest sich schon besser. In die Schlagzeilen der Turf-Berichterstattung auf der Insel und damit ins Rampenlicht der englischen Turf-Szene schaffte JoGo es jedoch erst 2016, dem Jahr, in dem sie in 834 Rennen in den Sattel stieg, dabei 87 Sieger ritt und mit den ihr anvertrauten Schützlingen mehr als 800.000 Euro an Preisgeldern zusammen galoppierte. Mit diesen Erfolgsdaten war ihr das Championat der Nachwuchsreiter in England nicht zu nehmen. Zum dritten Mal in der Geschichte des britischen Rennsports schaffte damit eine Frau diesen Championatstitel, JoGo war endgültig in die Fußstapfen ihres Idols Hayley Truner getreten, die sich 2005 als erste Frau in die Annalen der Championatsgewinner beim Jockeynachwuchs hatte eintragen können.
Rennreiterinnen im Vormarsch: Josephine Gordon (links) mit Hollie Doyle bei der Rennbahnbegehung in Royal Ascot 2018. www.galoppfoto.de - Frank SorgeAuch im Folgejahr 2017, das sie ohne Gewichtserlaubnis bestreiten musste, setzte sich die Erfolgsserie fort. Mit 106 Saisonsiegen aus 934 Ritten mit einer Gesamtgewinnsumme von rd. 1,45 Mio. Euro schaffte Josephine Gordon als zweite Frau nach Hayley Turner eine dreistellige Siegzahl und als erste Frau eine siebenstellige finanzielle Bilanz in einem Jahr. Immer häufiger kam sie auch in sportlich besseren Rennen an Ritte. Für das aufstrebende Newmarket-Quartier von Hugo Palmer, das mittlerweile zu den Top-Adressen des britischen Turfs rechnet, hatte sie bereits im Jahr 2016 einmal die Woche in der Morgenarbeit geritten und einige Starter des Quartiers wurden ihr dann auch im Rennen anvertraut, doch ab Januar 2017 wurde ihre Zusammenarbeit mit Palmer vertraglich geregelt und intensiviert. Als Türöffner agierte dabei ihr Agent Phil Shea, dessen Frau Angie eine leitende Rolle im Management des Palmer-Quartiers innehat.
Aufsehen erregte Gordon, als sie als erste Frau im Godolphin-Dress reiten durfte, auch beim Dubai Racing Carneval auf der Rannbahn Meydan wurde sie eingesetzt. Die Zeit, in der sie primär hoffnungslose Außenseiter („no hopers“) in Handicaps der untersten Kategorien über die Rennbahnen von Wolverhampton und Chelmsford jagen musste, schien endgültig vorbei, jetzt ritt sie in Ascot, Goodwood und York. Für Hugo Palmer erzielte sie im Sommer 2017 auch ihre ersten beiden Gruppe-Siege. Der im letzten Winter im irischen Annshoon Stud als Deckhengst aufgestellte Kodiac-Sohn Koropick, dessen Wechsel ins englische Hedgeholme Stud für die nächste Decksaison in dieser Woche bekannt gegeben wurde, markierte mit seinem Gruppe III-Sieg am 1. Juli 2017 in Newcastle ihren ersten Treffer auf Gruppe-Level, dem Ende September 2017 in Newmarket mit dem Sieg der High Chaparral-Tochter Apphia in einem Gruppe III-Rennen ein zweiter folgte. Mit dem von William Haggas trainierten Fastnet Tempest hatte sie bereits vor den beiden Gruppe-Erfolgen den in Ascot gelaufenen Victoria Cup, einer der hochdotierten englischen Ausgleiche aus der Serie der sogenannten „Heritage Handicaps“, an ihre Fahnen heften können.
Einen weiteren Triumph in Ascot, der Bahn, auf der Gordon nach eigenem Bekunden am liebsten reitet, steuerte im vergangenen Jahr der hierzulande als Zweiter des diesjährigen Mehl-Mülhens-Rennens bestens bekannte Fajjaj bei. Gordon ritt den für die Interessen von Al Shaqab Racing laufenden Dawn Approach-Sohn bei seinem Debüterfolg als Youngster und erhielt auch die Chance, ihn nach seiner Platzierung im klassischen Kölner Rennen in den Hampton Court Stakes (Gr. III) bei der diesjährigen Royal Ascot Woche zu reiten. In der vom irischen O’Brien-Schützling Hunting Horn gewonnenen Prüfung lief Fajjaj allerdings sehr blass und endete abgeschlagen, so dass JoGo auf das Erfolgserlebnis eines Gruppe-Sieges bei Royal Ascot noch warten muss.
In der laufenden Saison 2018 scheint ohnehin etwas Sand in das Getriebe der steilen Erfolgskarriere geraten zu sein. Zwar wurde ihr im August die Ehre zuteil, beim Shergar Cup in Ascot, dem bekannten Team-Wettbewerb für Jockeys, die Rolle des Teamkapitäns für das letztendlich siegreiche Frauenjockeyteam zu übernehmen, doch läuft es sportlich nicht mehr ganz so erfolgreich wie in den vergangenen beiden Jahren. Die Ausbeute von bis dato 41 Siegen aus 413 Ritten bleibt deutlich hinter den letzten beiden Jahren zurück. Innerhalb der für die britischen Championatswertung rechnenden Zeitspanne ab Anfang Mai waren es sogar nur 25 Siege aus 240 Ritten, womit sie nicht einmal die beste Frau in der aktuellen Championatsrangliste ist, sowohl die Nachwuchsreiterin Nicola Currie (30 Siege) als auch die wieder in den Rennsattel zurückgekehrte Hayley Turner (30 Siege) sowie Hollie Doyle (28 Siege) rangieren vor ihr. Ein verletzungsbedingter Ausfall von rund einem Monat im Sommer aufgrund einer gebrochenen Hand nach einem Malheur an der Startmaschine erklärt die schlechtere Bilanz zumindest zum Teil, das Reiten verlernt hat JoGo auf jeden Fall nicht, wie sie am vergangenen Sonntag auch dem deutschen Publikum beweisen konnte. Ein Erfolg auf Listenebene wie in Düsseldorf ist für sie in diesem Jahr allerdings eines der sportlichen Highlights.
Dass die Bäume für sie in diesem Jahr nicht in den Himmel wachsen, hat auch ihre Einstellung zur kontrovers diskutierten Erlaubnis für weibliche Reiter verändert. Im vergangenen Jahr gehörte sie zu den prominenten Kritikerinnen der in Frankreich eingeführten „Frauenerlaubnis“ von ursprünglich 2 Kilogramm (mittlerweile auf 1,5 Kilogramm reduziert) in allen Rennen unterhalb der Blacktype-Kategorie. JoGo nannte eine solche Sonderbehandlung für Frauen im Rennsattel „extrem sexistisch“ und verwehrte sich vehement gegen eine Übernahme der französischen Regelung in den Rennsport auf der Insel. Sie wolle ohne eine solche Bevorzugung ihren Weg zum ersten Championatsgewinn einer Frau in der britischen Jockey-Szene machen, verkündete sie vor anderthalb Jahren.
In einem Interview mit dem englischen Guardian klangen ihre Aussagen zu dieser Frage im Sommer dieses Jahres schon ganz anders. Sie schilderte dem Reporter, dass sie am letzten Wochenende in Frankreich geritten wäre. Bei früheren Trips zu französischen Rennbahnen seien ihr eigentlich nie Frauen im Jockeyraum aufgefallen, doch diesmal hätte sie dort elf weibliche Jockeys vorgefunden. Offenbar hätte die französische Regelung die Situation für Frauen im Rennsport dort spürbar verbessert. Wenn eine ähnliche Erlaubnisregelung für Frauen in England eingeführt würde, so fände dies zwar immer noch sexistisch, aber es würde ihr sicherlich helfen.
Immerhin ist JoGo von einem typischen Jockeyproblem bislang verschont. Sie hat keine Probleme mit ihrem Gewicht, musste nach eigener Aussage noch nie vor einem Renntag Gewicht machen und muss sich an keine Diätvorschriften halten. “Ich kann essen, was ich will“, war ihre stets gleiche Antwort auf Fragen nach ihren Ernährungsgewohnheiten, zu denen nach ihrem Bekunden auch Besuche bei McDonalds gehören. Bleibt sie auch in der Zukunft von Gewichtsproblemen und weiteren Verletzungen verschont, so dürften wir Josephine Gordon am Sonntag nicht zum letzten Mal bei der Siegerehrung auf einer deutschen Rennbahn gesehen haben.