Drucken Redaktion Startseite

Vor 25 Jahren: St. Jovite gewinnt die "King George"

Er trainierte St. Jovite: Jim Bolger. www.galoppfoto.de

Autor: 

Turf aktuell

TurfTimes: 

Ausgabe 478 vom Donnerstag, 27.07.2017

Am Samstag kommt es im englischen Ascot zum alljährlichen Sommerhöhepunkt des britischen Turfs, den King George VI and Queen Elizabeth Stakes (Gr. I, ca. 1,29 Mio. Euro). Derzeit sieht es nach einem zehnköpfigen Starterfeld aus, das nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ mehr verspricht als so manche Austragung der letzten Jahre. Sechs der zehn Starter konnten bereits auf Gruppe I Parkett punkten. Im Wettmarkt besonders hoch eingeschätzt wird Khalid Abdullahs 3jährige Stute Enable, die unter Lanfranco Dettori nach Erfolgen in den englischen und irischen Oaks erstmals gegen ältere Hengste antritt.

Seine Favoritenstellung bei den Buchmachern hat Vorjahressieger Highland Reel in den letzten Tagen aufgrund der sich ankündigenden Geläufbedingungen am Samstag eingebüßt. Ryan Moore, Stalljockey am Quartier von Aidan O’Brien, der neben Highland Reel auch dessen ein Jahr jüngeren Bruder Idaho in die King George schickt, wird wie im Vorjahr der Partner des sechsfachen Gruppe I Siegers sein. Zu den weiteren profilierten Startern gehören der mehrfache Gruppe I Sieger Jack Hobbs (William Buick) und der jüngst in den Eclipse Stakes (Gr. I) erfolgreiche Ulysses (Jim Crowley). Ein exotischer Farbtupfer ist der aus Argentinien angereiste Sixties Song (Gerald Mosse), der in seiner südamerikanischen Heimat zum zweifachen Gruppe I Sieger avancierte und nun erstmals in Europa an den Start geht.

Wir wollen an dieser Stelle das aktuelle Geschehen verlassen und eine Zeitreise in die Vergangenheit machen. In der Jahrhunderte umspannenden Historie des britischen Turfs ist der 1951 erstmals ausgetragene Ascot-Höhepunkt vergleichsweise jung. Eine Rückblende auf einen King George-Sieger der Vergangenheit kann somit nur einen Vollblüter betreffen, der zumindest von den älteren Turf-Fans noch auf der Rennbahn gesehen wurde. Bei der Wahl, wohin die Zeitreise uns führen soll, haben wir ein rundes Jubiläum gewählt und begeben uns genau 25 Jahre zurück in den Juli 1992. In diesem Jahr beendete der von Jim Bolger trainierte St. Jovite eine längere irische Durststrecke und sorgte nach 15jähriger Pause wieder für einen irischen Sieg in den King George. Überraschend kam damals der Erfolg des 3jährigen Hengstes für niemanden, St. Jovite hatte das Rennen als heißer 18:10 Favorit aufgenommen.

Auch wenn es stärker besetzte King George-Auflagen in der Geschichte gab als die des Jahres 1992, so hatten die sieben Konkurrenten des Bolger-Schützlings durchaus ihre Meriten vorzuweisen. Der Zweitplatzierte Saddler’s Hall kam mit einer vierfachen Siegesserie auf Gruppe-Ebene, darunter der Coronation-Cup auf Gruppe I Parkett, nach Ascot. Der Drittplatzierte Opera House, der in 1993 zum Nachfolger St. Jovites als King George-Sieger werden sollte, hatte in 1992 immerhin auch bereits zweimal auf Gruppe-Ebene gewonnen und zuletzt vor dem Start in Ascot einen 2. Rang in den Eclipse-Stakes (Gr. I) erreicht. Auch der Drittplatzierte der Eclipse Stakes Sapience, der zu Saisonbeginn ein Gruppe II Rennen in Newmarket gewonnen hatte, fand sich genauso an der Startmaschine ein wie Rock Hopper, ein siebenfacher Gruppe-Sieger, der während der Royal Ascot Woche im Juni zum zweiten Mal die Hardwicke Stakes (Gr. II) siegreich beendet hatte.

Selbst der längste Außenseiter im Feld, der schon 6jährige Terimon, hatte schon auf Gruppe I Level gewonnen, doch hatte er keine aktuelle Form. Mit Silver Wisp, dem Drittplatzierten des englischen Derbys 1992, und Jeune, einem aufstrebenden Dreijährigen, der nach einem Listenerfolg beim letzten Start einen 2. Rang in den King Edward Stakes (Gr. II) während der Royal Ascot Woche erzielt hatte, gingen auch zwei britische Jahrgangsgefährten von St. Jovite in das erste Gipfeltreffen mit den älteren Semestern auf der Derby-Distanz. Beide spielten im Rennen keine Rolle und endeten auf den letzten beiden Plätzen.

Ganz anders St. Jovite, der diesmal von der Spitze aus sich sein Rennen selbst machte und in der Zielgerade die Konkurrenten einfach stehen ließ. Ein Sechs-Längen-Vorsprung vor kämpfenden Gegnern ist auf Gruppe I Level schon ein Wort. Die Racing Post zeigte sich nicht nur in der Berichterstattung von dieser Vorstellung begeistert, sie gab ihm auch ein Rating von 133, eine der höchsten Marken für einen King George-Sieger (zum Vergleich: Highland Reel bekam im Vorjahr eine Marke von 121, die beiden deutsche King George-Sieger Danedream (2012) und Novellist (2013) erhielten von der Racing Post Marken von 124 und 128).

Vermutlich wäre die Siegquote noch geringer als 18:10 ausgefallen, hätte es nicht vor den King George einen kurzfristigen Jockeywechsel gegeben. Der siebenfache irische Championjockey Christy Roche, der St. Jovite bei zehn seiner elf Karrierestarts unter seinem Sattel hatte, musste ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt eine Sperre absitzen. Roche hatte mit allen rechtlichen Mitteln gegen die Sperre gekämpft, sogar mit einer einstweiligen Verfügung die Sperre zunächst aufgeschoben, doch am Tag vor den King George wurde die Sperre wieder in Kraft gesetzt. Roche war zum Zuschauer degradiert, Bolger musste sich einen anderen Jockey suchen.

Lester Piggott und Cash Asmussen waren die Favoriten bei den englischen Buchmachern für den Ritt, doch Bolger entschied sich überraschend für einen irischen Jockey der zweiten Reihe, Stephen Craine. Der machte seine Sache jedoch ohne Fehl und Tadel und konnte sich so erstmals in die Siegerliste eines Gruppe I Rennens eintragen, während Christy Roche seine erfolgreiche Karriere 1998 ohne einen King George-Volltreffer beenden musste.

Verdient hatte sich St. Jovite seine uneingeschränkte Favoritenstellung vier Wochen vor den King George. In atemberaubendem Stil hatte er Ende Juni auf dem Curragh das irische Derby gewonnen. In einer bis heute gültigen neuen Rekordzeit nahm er Revanche an seinem britischen Dauerrivalen Dr. Devious, dem er im englischen Derby Anfang Juni noch unterlegen war. Hatte er als Zweiter in Epsom noch einen Rückstand von zwei Längen auf Dr. Devious, so dreht er diesmal den Spieß deutlich um und deklassierte den Briten aus dem Quartier von Peter Chapple-Hyam mit zwölf Längen.

Angesichts seiner Rekordzeit von 2:25,60 Minuten für die Derby-Distanz, die eine Verbesserung gegenüber dem früheren Rekord um fast 4 Sekunden bedeutete, äußerten britische Rennsportjournalisten Zweifel, ob die Streckenlänge auf dem Curragh tatsächlich der klassischen Anforderung von 2414m entsprach. Eine offizielle Nachmessung der Strecke wurde anberaumt und ließ die Skeptiker verstummen, da die Nachmessung sogar eine geringfügige längere Strecke als die klassische Derby-Distanz ergab.

In den beiden Rennen im Sommer 1992 war St. Jovite auf dem Zenit seiner Karriere, die 1991 mit einer dreifachen Siegesserie, darunter nach dem Maidensieg in Leopardstown auch zwei Gruppe III Prüfungen auf dem Curragh, bereits erfolgreich begonnen hatte. Zum Abschluss seiner Zweijährigen-Kampagne reiste er zum Arc-Wochenende nach Paris und war einer der Gegner des zum „Wunderpferd“ hochstilisierten Youngsters Arazi im Grand Criterium (Gr. I), dem heutigen Prix Lagardère. In Longchamp hatte St. Jovite keine Siegchance und belegte knapp vier Längen hinter Arazi den 4. Rang.

Zum Auftakt seines Derby-Jahres floppte er als 17:10 Favorit mir Platz 4 in einem Gruppe III Rennen auf dem Curragh, rückte dies jedoch vier Wochen später in den Derby Trial Stakes (Gr. III) in Leopardstown durch einen klaren Drei-Längen-Erfolg in einer allerdings schwach besetzten Prüfung wieder gerade. Das anschließende englische Derby kam für ihn etwas zu früh, wie sein Trainer in der Rückschau anmerkte.

Nach den beiden Triumphen auf dem Curragh und in Ascot ging St. Jovite nur noch zweimal an den Start. In den Irish Champion Stakes bezog er bei seiner Rückkehr auf die 2000m-Distanz eine knappe Niederlage. Mit einem kurzen Kopf hatte er in Leopardstown das Nachsehen gegen Dr. Devious. Auch bei seinem letzten Start im Pariser Arc kam es zum Aufeinandertreffen mit Dr. Devious. Diesmal gestaltete St. Jovite das Duell wieder zu seinen Gunsten, doch bedeutete dies keineswegs den Sieg. In dem vom Franzosen Subotica gewonnenen Arc belegte er knapp vier Längen hinter dem Sieger auch bei seinem zweiten Longchamp-Auftritt nur den 4. Rang (Dr. Devious endete eine Länge hinter ihm auf dem 6. Platz).

Insgesamt bestritt St. Jovite in seiner zwei Rennzeiten umfassenden Laufbahn elf Starts, bei denen er immer im Geld landete. Sechsmal – davon fünfmal in Gruppe-Rennen - kehrte er als Sieger von der Bahn zurück, zwei weitere Male erreichte er auf Gruppe I Ebene einen 2. Rang. Seine Gewinnsumme belief sich auf knapp 460.000 Pfund (umgerechnet zu den damaligen Devisenkursen entspricht dies rd. 512.000 Euro).

Nach Ende seiner Rennkarriere ging St. Jovite zurück in die amerikanische Heimat seiner Besitzerin Virgina Kraft Payson, einer ehemaligen Sportjournalistin, die 1977 den zu diesem Zeitpunkt bereits 79jährigen Charles Shipman Payson, den Besitzer des Baseballclubs New York Mets, geheiratet hatte. Zunächst gemeinsam mit ihm und nach seinem Tod 1986 auch allein hatte sie Vollblüter gekauft und später auch auf einem eigenen Gestüt in Kentucky gezüchtet.

Gemeinsam mit ihrem Sohn aus einer früheren Ehe Dean Grimm zeichnete Payson auch für St. Jovite als Züchterin verantwortlich. Benannt wurde der Hengst nach dem gleichnamigen Ort in den laurentinischen Bergen, einer bekannten Skiregion im Süden der kanadischen Provinz Quebec, in der ihr Sohn als Kind das Skifahren erlernt hatte. Als St. Jovite auf das eigene Gestüt in Kentucky zurückkehrte, hatte Dean Grimm die Verantwortung für das Gestüt inne und organisierte seine Deckhengstkarriere.

Die Zuchterfolge, die St. Jovite in seiner mehr als 20 Jahre umfassenden Deckhengstzeit vorweisen kann, blieben übersichtlich. Er war von 1993 bis 2005 als Deckhengst in Kentucky aufgestellt, wechselte in 2006 jedoch in das irische Greentree Stud, wo er bis 2014 angeboten wurde, bevor er ins Baysax Manor Stud auf dem Curragh in Alterspension ging. Planungen, ihn in 2015 in die USA zurückzuholen, um ihn in einem Gestüt in Florida, das 17 Vollblütern von Virgina Kraft Payson als Altersruhesitz diente, in die Nähe seiner Besitzerin zu bringen, wurden aufgrund des fortgeschrittenen Alters nicht mehr realisiert.

St. Jovite verstarb im Alter von 27 Jahren Anfang Januar 2016 nur einen Monat vor seinem (Mit-)Züchter Dean Grimm, der genau doppelt so alt wie St. Jovite wurde. Insgesamt acht seiner Nachkommen konnten sich auf Gruppe-Ebene auszeichnen. In den USA stellte er mit Amerique einen Gruppe I Sieger, der jedoch als Wallach die Linie nicht weiterführen konnte. Aus der europäischen Deckhengstzeit ist der in Godolphin-Farben gelaufene Equerry, ein dreifacher Gruppe III Sieger, der auch In Deutschland an den Start kam, allerdings im Großen Dallmayr-Preis (Gr. I) des Jahres 2002 als 15:10 Favorit nur Vierter wurde, der profilierteste Vertreter.

Equerry wurde nach Ende seiner Rennkarriere im französischen Haras des Brousses als Deckhengst aufgestellt und mit bescheidenem Erfolg in der Hinderniszucht eingesetzt. Als Vater von Mutterstuten ist St. Jovite aktuell über seine Tochter Baranja in den italienischen Statistiken noch gut vertreten. Baranja brachte 2012 den Hengst Greg Pass (Raven’s Pass), der im Vorjahr neben einem Listenrennen auch zwei Gruppe III Rennen in Italien gewann. In diesem Frühjahr folgte nach zwei weiteren Listenerfolgen zum Auftakt ein 2. Platz im zum Gruppe II Rennen herabgestuften Premio Presidente della Repubblica in Rom. Der mittlerweile als Wallach laufende Greg Pass gehört damit zur erweiterten Spitzengruppe der italienischen Galopper und hält die Erinnerung an St. Jovite weiter wach. Ob der Sieger der diesjährigen King George ebenfalls 25 Jahre nach seinem Erfolg in den Turf-Statistiken noch auftauchen wird, bleibt abzuwarten.

Verwandte Artikel: