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Der Mann mit den weißen Handschuhen

Gérald Mossé im Februar in Riyadh. www.galoppfoto.de - Peter Heinzmann

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Redaktion Turf-Times

TurfTimes: 

Ausgabe 826 vom Freitag, 19.07.2024

Den richtigen Zeitpunkt zu finden, um nach einer langen erfolgreichen Karriere den Rücktritt vom aktiven Sport zu erklären, ist für jeden Sportler in jeder Sportart schwierig. Im Jockeylager führte uns Frankie Dettori dies noch im letzten Jahr vor Augen, als er frühzeitig seinen Abschied vom Rennsattel für das Ende der Saison ankündigte, um später, nach einer nochmals grandiosen Saison, den Rücktritt vom Rücktritt zu erklären.

Ganz anders lief es jetzt bei Gérald Mossé ab. Der 57jährige Franzose informierte die Öffentlichkeit kurzfristig am vergangenen Samstag, als er letztmalig im Grand Prix de Paris (Gr. I) für den Aga Khan ritt (Platz 6 mit Saganti), dass am folgenden Tag sein Abschied vom Rennsattel bevorstünde und damit eine der längsten Jockeykarrieren in Europa ihr Ende finden würde. Am französischen Nationalfeiertag zog er auf der Rennbahn in Chantilly in einem Handicap ein letztes Mal das Renndress und seine für ihn typischen weißen Handschuhe über und versuchte, mit dem von Mikel Delzangles trainierten Shannkiyr den Rennbahnabschied erfolgreich zu gestalten. Es blieb beim Versuch, mehr als Rang 15 war für den in dieser Saison stets unplatziert gelaufenen Achtjährigen aus der Aga Khan Zucht auch diesmal nicht drin. Gefeiert wurde Mossé nach dem Rennen dennoch. Jockeys und Trainer bildeten einen Ehrenspalier und verabschiedeten einen der Großen des Turfs mit gebührendem Applaus.

Der aus Marseille stammende Mossé begann bereits vor über 41 Jahren, im April 1983, mit dem professionellen Rennreiten als Jockey-Azubi bei Patrick Bianconne. Erste Erfolge ließen nicht lange auf sich warten, 1984 wurde er Champion der Nachwuchsreiter im Nachbarland. Der damals zu den führenden Quartieren rechnende Stall des siebenfachen französischen Championtrainers Francois Boutin warb die Nachwuchshoffnung ab, so dass sich dem jungen Talent schon früh auch Chancen in den sportlichen Big Points boten. Schon 1988 erzielte er mit der von Boutin für Jean-Luc Lagardère trainierten Resless Kara seinen ersten Gr. I Sieg im Prix de Diane, der klassischen Stutenprüfung des französischen Turfs, die er insgesamt fünfmal in seiner Karriere gewinnen konnte. Das französische Derby beendete er dreimal als Sieger, das französische St. Leger zweimal, die Meilenklassiker für Hengste und Stuten drei- bzw. zweimal, der letzte klassische Sieg im Stutenklassiker über die Meile datiert dabei aus dem Jahr 2022, als Mossé bereits 55 Jahre alt war. Auch ein Arc-Erfolg, 1990 mit Saumarez, war ihm vergönnt. In nahezu allen tragenden Rennen des französischen Turfs findet sich sein Name in den Siegerlisten.

Die Cravache d'Or, das französische Jockeychampionat, konnte er allerdings nie für sich entscheiden. In den 90er Jahren landete er mehrfach unter den Top Drei, doch für den Platz ganz oben reichte es nicht. Er galt als Jockey für die Big Points, dem hoher Erwartungsdruck nichts ausmachte und für den Nervosität ein Fremdwort zu sein schien. Stilistisch war seine Reitweise eine Augenweide. Ihn während des Rennens zu beobachten, erweckte beim Betrachter nie den Eindruck, einem Mann bei seiner harten Arbeit zuzuschauen, sondern einem Performancekünstler bei seinem Auftritt.

Acht Jahre lang, von 1993 bis Ende 2001, war er der Jockey des Aga Khan und hatte die Qual der Wahl, welchen Vertreter dieses ungemein erfolgreichen Vollblutimperiums, das in verschiedenen Quartieren trainieren ließ, er im Rennen reiten sollte. Seine über 90 Gr. I Triumphe sind jedoch bei weitem nicht auf sein Heimatland beschränkt. Mossé war ein international gefragter Jockey. Hongkong war dabei seine zweite Heimat, in der in den 90er Jahren längere Aufenthalte absolvierte und auch später immer wieder zu Gast war. Unter seinen mehr als 600 Siegen in Hongkong befinden sich alle vier dortigen Prüfungen des International Racing Meetings im Dezember (Hongkong Cup, Mile, Sprint und Vase), die er je zweimal gewann. Auch die anderen Top-Prüfungen des dortigen Turfs heftete er an seine Fahnen. Allein dreimal siegte er im Hongkong Derby, genauso häufig gab er den Konkurrenten im Stewards Cup das Nachsehen. Als erstem Jockey gelang es ihm, seinen Namen in den Siegerlisten aller Gr. I Prüfungen des Hongkong-Turfs zu platzieren (Zac Purton folgte ihm 2020).

Den Melbourne Cup, finanziell betrachtet sein größter Erfolg, gewann er als erster französischer Jockey 2010 mit dem von Alain de Royer-Dupré trainierten Americain. Auch in Dubai war er bereits 2001 mit Jim and Tonic im Dubai Duty Free (Gr. I) siegreich. In Nordamerika ritt er nur selten, Breeders‘ Cup Erfolge fehlen völlig in seiner Erfolgsbilanz. In Kanada, genauer in Woodbine, schaffte er 2012 seinen einzigen nordamerikanischen Gr. I Treffer mit der Aga Khan Stute Siyouma in den E. P. Taylor Stakes, mit der er zuvor bereits eine Gr. I Prüfung in Newmarket gewonnen hatte. Unter seinen vielen internationalen Gruppe I Siegen, darunter auch acht in England und vier in Italien, lässt sich nur ein auf einer deutschen Rennbahn errungenen Erfolg finden. Vor drei Jahren ritt er den von Jerome Reynier trainierten Skalleti zum Sieg im Großen Dallmayr-Preis auf der Münchener Rennbahn. Weitere Gruppe-Siege auf niedrigerem Level in Deutschland feierte er insbesondere in Sprint-Prüfungen. Dreimal, in den Jahren 1997, 2018 und 2019, zeigte er den Konkurrenten in der Golden Peitsche, auf Gr. II Niveau in Baden-Baden gelaufen, die Hufe, zweimal war er in den Gr. III Sprint-Prüfungen bei der Hamburger Derby-Woche in den Jahren 1991 und 1992 siegreich. Fünf weitere Siege in anderen deutschen Gruppe-Prüfungen, zuletzt in 2021 mit dem Suborics-Schützling Rip Van Lips im 50. Oleander-Rennen (Gr. II) in Hoppegarten, weisen die Annalen aus

Der Abschied vom Rennsattel bedeutet für Gérald Mossé nicht den Ausstieg aus dem Turf. Schon vor mehr als zwei Jahren erhielt er die Trainerlizenz und erwarb ein Trainingsquartier am Standort Les Aigles in Lamorlaye bei Chantilly. Er ließ das Quartier aufwendig renovieren und plant den Start als Trainer für September. Im August wird man ihn auf den Vollblutauktionen sehen, wo er hofft, die richtigen Stallinsassen für sein Quartier zu finden. Eine Frage ließ Mossé bislang unbeantwortet, nämlich die, wer seine Pferde im Rennen reiten wird. Es bleibt somit abzuwarten, wem er zutraut, ihn im Rennsattel zu ersetzen.

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