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Champions Day 2017

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 491 vom Donnerstag, 26.10.2017

Es ist keine sieben Jahre her, da reiste man für den Champions Day auf die Rowley Mile, eine der Rennbahnen von Newmarket. Das Programm war eine bunte Mischung feiner Rennen – die Steher stritten sich im Jockey Club Cup,  die zweijährigen Hoffnungsträger liefen in den Dewhurst Stakes,  das Cesarewitch brachte hochdekorierte Handicapper auf die Bahn, und als Mittelpunkt der Karte waren die Champion Stakes auch immer eine Art Saisonabschluß. Die Erinnerung muss trügen, aber über allem schien durchweg die Sonne zu scheinen, goldene Herbsttage der besonderen Art.

Das änderte sich im Jahr 2011, als der Marketingagentur des englischen Rennsports, Great British Racing, auffiel, dass England nun völlig den Anschluss an die internationalen Großereignisse zu verlieren drohte. Wo Amerika, Dubai oder Hongkong mit Großkampftagen und Super-Börsen lockten, in Australien die Dollar beim Racing Carnival sprudelten, und selbst die ungeliebten Franzosen ihren Arc-Tag zum einem Spitzensonntag ausgebaut hatten, schien man im Mutterland des Sports auf ein Abstellgleis zu geraten. So warf man einige der Traditionen, auf die man sich sonst auch im Rennsport so gerne beruft, über Bord, zeigte Newmarket die rote Karte, und kreierte auf der Lieblingsrennbahn der Queen einen ganz neuen Champions-Tag. 

Der Jockey Club Cup heißt nun Long Distance Cup, die Queen Elizabeth II Stakes müssten eigentlich Champion Mile heißen, dürfen es aus naheliegenden Gründen aber nicht.  Momentan besteht das Rennprogramm aus sechs Rennen, fünf Rennen der British Champion Series, deren Finale eben an diesem Tag erreicht wird, und einem Handicap,  das keinen klangvollen Namen hat und den Nimbus des Lückenfüllers nicht abschütteln kann. Selbst eingefleischte Rennsportprofis der Insel kommen ins Straucheln,  wenn sie denn alle Rennen der von Qipco gesponserten Champion Series nennen sollten; tatsächlich sind es insgesamt 35 Rennen  in den fünf Kategorien Sprint, Mile, Middle- und Long Distance, Fillies &Mares: alle Gruppe I-Rennen der Insel (außer solchen für die Zweijährigen) sowie auch die Cup-Rennen, denen dieser Status bisher versagt blieb.

Kritik an der Neuausrichtung  wird selten öffentlich laut, auch wenn es hinter vorgehaltener Hand bzw. zwischen den Zeilen immer wieder Zweifler gibt: selten bis gar nicht ist es bisher gelungen, tatsächlich alle Protagonisten der jeweiligen Sparten an den Start zu bekommen, das späte Datum  Ende Oktober hat in den letzten Jahren zumeist für schlechtes Wetter und problematische Bodenverhältnisse gesorgt,  ein neu kreierter „Future Champions Day“  mit diversen Zweijährigen- Rennen hat bisher nicht Fuß fassen können; am Champions Day selber fehlen die Youngsters ja völlig.

Gerne würde England den Tag zumindest um einige Wochen vorverlegen, doch gegen das Pattern Committee braucht es mehr als fromme Wünsche. Ganz ungern sieht man natürlich, wenn – wie auch in diesem Jahr geschehen – englische Spitzenpferde des Jahrgangs lieber am ersten Sonntag im Oktober nach Frankreich reisen.  Doch sind dies Klagen auf hohen Niveau: mit Ribchester und Harry Angel hatte man zwei Pferde am Start, die auf ihren Distanzen – Meile und Sprint – in diesem Jahr mit brillanter  Überlegenheit dominiert hatten; und fünf Jahre, nachdem ein gewisser Frankel die Champion Stakes zu seinem ganz eigenen unvergessenen, hochemotionalen Finale gemacht hatte, schickte Trainer John Gosden dessen bisher talentiertesten Sohn ins Rennen.

Klasse wurde auch in der einleitenden Prüfung, dem Long Distance Cup (Gr. II, 3200m),  gezeigt, nicht nur vom Pferd - Order of St. George ist wohl der hochklassigste Steher aus Ballydoyle seit Yeats - sondern auch von Jockey Ryan Moore. Streng auf Warten geritten, schien dem Galileo-Sohn, zuletzt immerhin Vierter im Arc, der Weg ganz nach vorne im wahrsten Sinne zu weit zu werden, allein, Moore ist nicht umsonst einer der gefragtesten Reiter weltweit, und die Manier, mit der er seinen willigen Partner erst ein wenig zu Atem kommen ließ, um dann punktgenau innen durchzustossen, war eine Sternstunde des Rennreitens. Nicht wenige zählten bereits hier bis Fünfundzwanzig, stand doch  Trainer Aidan O´Brien nur einen Sieg entfernt von dieser magischen Zahl; nicht die Anzahl von Gruppe-Siegen versteht sich, sondern „natürlich“ von Gruppe EINS -Siegen in einem Kalenderjahr; ein Rekord, den der amerikanische Trainer Bobby Frankel (bisher) alleine hielt.

Eine Stunde später war es dann tatsächlich soweit, als die Galileo (was sonst?) -Tochter Hydrangea die Fillies & Mares Stakes (Gr.I, 2400m)  mehr als sicher für sich entschied. Dies war der bemerkenswert 15. Start der dreijährigen Stute, die im letzten Jahr u.a. auch im Breeders' Cup gelaufen war.  Nachdem sie in der aktuellen Saison zu Beginn immer wieder im Schatten einiger Stallgenossen gestanden hatte, brachten die letzten rund 40 Tage zwei Gruppe 1- Siege und einen zweiten Platz auf dieser Ebene. „Will she bloom today? “ fragte der Rennbahnkommentator eingangs der Geraden, und so kam es. Äußerlich unscheinbar, bestach die Stute vor und vor allem nach dem Rennen durch ihren ungemein wachen Ausdruck: aufmerksam die Umgebung betrachtend, glänzend im Fell, suchte sie nach dem Sieg förmlich die Objektive der Fotografen und schien alles genau zu beobachten.

Nicht wenige glauben ja, dass ihr Meistertrainer auch auf Wasser laufen kann, aber sogar ein  Aidan O`Brien musste passen, als ihn ein Fotograf aufforderte, doch bitte 25 Finger für das entsprechende Siegerphoto in die Luft zu halten. Schon am anstehenden Samstag kann O´Brien in der Racing Post Trophy (Doncaster, Gr.I, 1600m) mit Gruppe 1 -Sieg Nr. 26 zum alleinigen Rekordhalter werden. Auch wenn sich „gute“ (sprich teuer gezogene) Pferde immer mehr auf wenige „Elite“ Trainer zu konzentrieren scheinen, so ist und bleibt Aidan O´Brien doch ein Phänomen seiner Zunft; ein kaum zu erfassendes Genie, dessen totale Konzentration auf seinen Job und ausgefeilte Kunst, mit vielen Worten kaum je etwas zu sagen, bereits heute legendär sind. Nicht für ihn, sich in den Vordergrund zu stellen: in seiner „Dankesrede“ betonte er beinahe schon gebetsmühlenartig erneut, welch kleines Rädchen er im Großen Ganzen ist. Es sind seine Schützlinge, die laut und deutlich auf der Rennbahn sprechen.

Seinen ersten Gruppe I-Sieger - ganz sicher hat er es in seiner nun 15jährigen Laufbahn kaum 25 Gruppe-Starter gehabt - trainierte Dean Ivory, als sein kleiner Schimmel Librisa Breeze den wirklich erstklassig besetzten Sprint (Gr.I, 1200m)  für sich entscheiden konnte. Mit einer Quote von 10:1 war es keine totale Überraschung (zudem war der Wallach in der Racing  Post eine Art „Tip des Tages“ gewesen),  doch hatte  Librisa Breeze bisher noch kein Gruppe-Rennen, geschweige denn ein Gruppe I, für sich entscheiden können, auch wenn er sich, seit er im letzten Jahr von Trainer Jeremy Noseda (in dessen Obhut er im Übrigen zweimal wegen unerlaubter Substanzen disqualifiziert werden musste) zu Ivory gewechselt war, mehrfach mehr als achtbar aus der Affäre gezogen hatte.

Es war Ivory, der den Schimmel auf Sprint-Distanzen umstelle,  mit einem Mount Nelson-Sohn eine durchaus kreative Idee. Dies war sein Tag, und weder ein Harry Angel noch ein Caravaggio hatten auf dem weichen Boden die Mittel, dem unwiderstehlichen Speed des Schimmels etwas entgegen zu setzen. Kaum eine Szene ist in England von so großer Tiefe wie die Sprints, und in keiner Sphäre ist es mit so guter Regelmäßigkeit  möglich, die Lücke zwischen Handicaps und Gruppe-Rennen auch tatsächlich zu überbrücken; schnell ist eben schnell. Es war der insgesamt zweite Gruppe-Erfolg Ivorys;  Jockey Robert Winston, der nach eigener Aussage nur wegen Librisa Breeze überhaupt noch im Rennsattel sitzt („Ich war überzeugt, dass er ein Gruppe I-Rennen gewinnen wird“) punktete nach 2004 zum zweiten Mal auf dieser Ebene.

Es ist kaum zu glauben, aber auch im Jockey-Leben eines Frankie Dettori gibt es noch Debuts: tatsächlich waren die Champion Stakes eines der wenigen Rennen, welches der Star-Jockey noch nicht in seinem CV hatte. Doch dann holte er in den letzten beiden Gruppe-Rennen der Karte zu einem formidablen Doppelschlag aus: erst die Queen Elizabeth Stakes (Gr. I, 1600m;  das Rennen, welches vor 27 Jahren seinen allerersten Gruppe 1- Treffer markiert hatte) auf der Stute Persuasive (auch sie am Wettmarkt gut beachtet, und auch sie schlug mit Churchill und Ribchester zwei der absoluten Spitzenpferde dieser Kategorie) , dann - endlich- die Champion Stakes (Gr. I, 2000m) auf dem eingangs erwähnten Frankel-Sohn Cracksman. Es war dies auch der langersehnte erste europäische Gruppe1  I-Sieger für seinen Vater, dessen Nachkommen von Anfang an unter besonderer Beobachtung standen.

In den Farben von Golden Horn-Besitzer Anthony Oppenheimer, und wie dieser auch bei John Gosden im Training, kam der Hengst zweijährig nur einmal an den Start; die Champion Stakes waren sein sechster Start in 2017. Ihn „schonend“ aufzubauen, wenn man denn Starts in zwei Derbys und eine Reise nach Chantilly so bezeichnen möchte, war lange das erklärte Ziel Gosdens, der bewusst den Arc ausgelassen hatte. Die Belohnung war eine kraftvolle und optisch extrem beeindruckende Vorstellung von Cracksman (der Name im Übrigen eine Art Slang für Einbrecher, Safeknacker, bzw. Dieb), die vom Handicapper postwendend als „beste Leistung eines Pferdes in diesem Jahr in Europa“ bezeichnet wurde und ihm ein offizielles Rating von 130 einbrachte.

Diese Entscheidung wurde online sogleich sehr kontrovers diskutiert, vor allem an der Tatsache, dass die Leistung höher als Enables  Sieg im Arc bewertet wurde, schieden sich die Geister. Sicher, Gruppe I-Rennen werden selten mit sieben Längen Vorsprung gewonnen  (Frankel lässt grüßen), doch der Boden war schlecht und die Zeit nicht viel besser. Selbst die Racing Post notierte, dass es dem Feld insgesamt an Klasse fehlte, die auf dem Papier einzig wirklichen Gegner Highland Reel, Barney Roy und Brametot blieben unter ihren Möglichkeiten oder enttäuschten gar auf ganzer Linie. Wobei nicht unerwähnt bleiben darf,  dass Team Ballydoyle mit der Leistung von Highland Reel mehr als zufrieden war; der Hengst kann seine Bestleistung nur auf gutem Boden abrufen, kam aus einer Pause und steuert nun mit einem Konditionsstart im Bauch den Breeder´s Cup in Del Mar an.

Dettori weigerte sich nach dem Rennen, Vergleiche zu Enable zu ziehen, „lasst ihm seinen Tag in der Sonne, und fragt mich nicht solch schwere Sachen. Das habe ich nicht verdient." Trainer John Gosden hält nur mehr als ein Ass in seinen Händen und kann - Gesundheit der Vierbeiner vorausgesetzt - auch im nächsten Jahr aus dem Vollen schöpfen. Kaum ein Trainer der englischen Szene  kann sich so eloquent wie Gosden ausdrücken; doch in 2018 kann auch er die Pferde auf dem grünen Rasen sprechen lassen. 

Catrin Nack

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